Wayfair ist ein führender Händler im Möbel-E-Commerce und damit das, was Jeff Bezos als „hard business“ bezeichnen würde. Es ist nicht einfach aufzubauen, dafür umso besser zu verteidigen.
Wayfair ist wohl eines der spannendsten E-Commerce Unternehmen, da es viel mehr ist als nur ein Händler mit einem Online-Shop. Es ist ein Unternehmen, das wesentliche Teile der Wertschöpfung selbst übernimmt, neue Technologie nutzt und damit einen Markt umkrempeln kann.
Drei spannende Punkte zur Aktie, die wir gleich vertiefen werden:
- 🛋 Nachzügler: In vielen Kategorien dominiert der Online-Handel. Das Möbelsegment zieht allerdings nach, da es wohl mit sperrigen Produkten, schwierigen Retouren und mangelnder Vorstellungskraft von Kunden eine der schwierigsten Kategorien ist – und Wayfair scheint sie gemeistert zu haben.
- 🛡 Burggraben: Wayfair ist womöglich eines der stabilsten E-Commerce Unternehmen, da es nicht nur einen Online-Shop betreibt, sondern ein eigenes Logistik-Netzwerk, eigene Marken, direkte Beziehungen zu Lieferanten und VR- und AR-Lösungen, die wirklich einen Mehrwert bringen können.
- 📈 Wachstum (gestoppt?): Wayfair ist enorm gewachsen, vor allem in der Pandemie, zuletzt auf Jahresbasis aber wieder leicht zurückgegangen. Der Wachstumspfad steht daher besonders im Fokus.
- 💸 Günstige Bewertung: Wayfairs Börsenwert liegt aktuell unter dem Umsatz, was für die Aktie und den langfristigen Umsatztrend historisch günstig ist.
Finden wir also heraus, ob sich eine Investition aktuell lohnen könnte. Ist die Wayfair Aktie überbewertet? Oder kann man jetzt noch guten Gewissens Wayfair Aktien kaufen? Diesen Fragen versuchen wir uns zu nähern – inklusive Berechnung der Renditeerwartung und Scorecard am Ende.
Diese Analyse beruht u.a. auf folgenden Quellen & Einschätzungen:
- Aktuellste Finanzkennzahlen bis zum letzten Quartal
- Geschäftsbericht & Investorenpräsentation
- Letzte Earnings Calls
- Einschätzungen von E-Commerce Experten & Investoren (u.a. Jochen Krisch, Alexander Graf & Florian Heinemann)
- Interviews & Aussagen der Führungsebene (v.a. von CEO & Gründer Shah)
Viel Spaß!
Überblick: Das steckt hinter dem Unternehmen
Das Unternehmen
Wayfair wurde 2002 in den USA gegründet. Mitgründer und CEO ist bis heute Niraj Shah.
Produkt & Geschäftsmodell
Wayfair ist ein Möbel-Onlinehändler. Nicht nur irgendeiner, sondern wahrscheinlich der größte reine Online-Händler im Möbelbereich der Welt.
Wayfair verkauft also alle möglichen Möbel und Einrichtungsgegenstände online, seit ca. 2019 auch in Deutschland. Zuletzt wurden auch stärker Wohnaccessoires in die Plattform integriert.
Aktienkurs
Der Aktienkurs hat sich über die letzten Jahre stark entwickelt, hielt aber einiges an Volatilität bereit. Auch erstaunlich: Das Kursniveau liegt trotz des Pandemie-Booms für den E-Commerce heute knapp ein Drittel unter dem von Anfang 2019.
Das Bewertungsniveau ist heute, gemessen am Umsatz, auf dem günstigsten Niveau (Corona-Crash asugenommen).
Zahlencheck & Business Breakdown
Ab in die Zahlen-Corner. Wie sieht das Geschäft zahlenseitig aus?
Ertragsentwicklung & Wachstum
Wayfair weist in der letzten Investorenpräsentation keine jährliche Wachstumsrate aus. Aus guten Gründen: Der Umsatz ist auf Jahresbasis zurückgegangen.
Von 2019 auf 2020 ist der Umsatz um 55% gewachsen. Von 2020 auf 2021 dann um 3% geschrumpft. Das langfristige Wachstum seit 2014 liegt durchschnittlich bei 40% p.a.
Der Wachstumsrückgang in 2021 ist ein mögliches Warnzeichen. Ich glaube aber nicht, dass das ein neuer Trend ist. Es ist die Reaktion darauf, dass viele Käufe 2020 vorgezogen wurden und das Wachstum dadurch vorher enorm hoch war. Der E-Commerce Markt wächst weiterhin und wird auch weiter im Möbelbereich die Anteile von offline Richtung online verschieben.
Was in jedem Fall hilft ist ein 2-Jahres-Vergleich: Von 2019 bis 2021 ist der Umsatz im Durchschnitt um 22,5% pro Jahr gewachsen. Das halte ich aktuell für die repräsentativste Wachstumsrate.
Ebenfalls zu sehen: Der Markenaufbau in Deutschland ist 2019 gestartet.
Unit Economics
Wie sehen Wayfairs Zahlen pro verkaufter Einheit bzw. pro Dollar Umsatz aus?
- zu 76% kommen Bestellungen von Bestandskunden, also eine hohe Wiederholungskäuferrate, die Marketing-Kosten senkt
- 29% Bruttomarge, die Wayfair je Produktverkauf im Durchschnitt verdient
- ~250 Dollar durchschnittlicher Bestellwert, was – wie im Möbelsegment anzunehmen – recht hoch ist
Profitabilität
Die Non-GAAPBei "adjusted" Kennzahlen wird eine nach Standard-Richtlinien (GAAP) berechnete Kennzahl um Sondereffekte bereinigt, wird dann zur "Non-GAAP" Kennzahl. Diese Sondereffekte können aktienbasierte Vergütungen, Restrukturierungskosten oder Währungsschwankungen sein. Sie können einen besseren Vergleich ermöglichen, aber... More Bruttomarge liegt bei 29%. Die EBITDA-Marge bei 4,5% (2021). Der operative Cashflow lag bei 410 Mio. Dollar (3% Marge), der Free Cashflow bei 130 Mio. (1% Marge).
Nach operativem Ergebnis und Nettoergebnis ist Wayfair noch mit je -1% leicht in den roten Zahlen.
Das zeigt: Zwar ist noch keine offizielle Profitabilität erreicht – wobei es diese 2020 schon gab -, die meisten anderen Indikatoren zeigen aber schon in Richtung Profitabilität.
Von den 28,5% Bruttomarge gingen 2021 etwa 4% für Kundenservice & Payment, 10% für Marketing und 12% für Operatives, Technologie & allgemeine Ausgaben.
Rule of 40
Die Rule of 40Die Rule of 40 berechnet sich aus der Summe von Umsatzwachstum und EBITDA-Marge (oder Free Cashflow Marge). Wenn der Wert über 40 liegt, gilt das als kapitaleffizientes Wachstum. More (Summe aus Free-Cashflow-Marge und Umsatzwachstum) zeigt an, wie kapitaleffizient ein Unternehmen wächst. Alles über 40 gilt als sehr gut.
Nehmen wir bei Wayfair das Umsatzwachstum von 22,5% und die FCF-Marge von 1% landen wir bei 23,5. Das ist eher mittelmäßig, die Rule of 40Die Rule of 40 berechnet sich aus der Summe von Umsatzwachstum und EBITDA-Marge (oder Free Cashflow Marge). Wenn der Wert über 40 liegt, gilt das als kapitaleffizientes Wachstum. More ist nicht erfüllt.
Anders gesagt: Bei dem geringen Überschuss würde etwas mehr Wachstum wünschenswert sein.
Factsheet
Factsheet
Alle Zahlen, sofern nicht anders angegeben, in der jeweiligen Heimatwährung und TTMTrailing twelve months. Bezeichnet die jeweils letzten 12 Monate, unabhängig vom Kalenderjahr. More (= letzte 12 Monate). Zusatz ‚e‘ = erwartet, ‚YoY‘ = im Jahresvergleich.
Die Eckdaten
- Land: USA
- Branche: E-Commerce
- Marktkapitalisierung: 11 Mrd. USD
- Umsatz: 14 Mrd. USD
- Ergebnis: -0,1 Mrd. USD
- Free Cashflow: 0,1 Mrd. USD
Bewertung
- KUV: 0,8
- KGV: –
- KGVe: –
- KCV: 27
Qualität & Wachstum
- Bruttomarge: 28%
- Nettomarge: -1%
- Umsatzwachstum: 22,5% p.a. (2019 bis 2021)
Analyse von Geschäftsmodell, Strategie & Markt
Schauen wir uns einmal an, wie das Geschäftsmodell aussieht. Außerdem: Wie sieht die Strategie aus? Wie ist die Konkurrenzsituation und der eigene Burggraben gegenüber der Konkurrenz? Welche Wachstumsperspektiven gibt es?
Geschäftsmodell
Im Home & Living Markt gilt es mehrere Dinge zu verstehen, die es vom Technik- oder Mode-Markt unterscheidet:
- Es geht nicht um spezifische Suchen, sondern optisches Stöbern
- Kunden haben eine emotionale Verbindung zu ihrem Zuhause
- Der Markt hat kaum bekannte Marken und ist stark fragmentiert
- Große und anfällige Produkte brauchen individuelle Lieferung und Kundenservice (wie ein Laptop an der Tür übergeben wird ist egal, aber nicht wie ein Sofa oder ein Küchentisch übergeben wird)
Wayfair arbeitet dafür an Logistik, der Shopping-Erfahrung, Services für Lieferanten und für Kunden. Im Kern steht Technologie.
CEO Shah betont im Shareholder Letter, dass die Wichtigkeit von Technologie fürs Geschäft nicht zu stark betont werden kann:
The impact of technology on our business cannot be overstated. Half of our corporate Opex staff works in our technology organization. This group of over 3,000 engineers, product managers, designers and data scientists build technologies that power every facet of our business. While we use third-party software where it makes sense, we invest into proprietary solutions in areas where we can gain a sizable competitive advantage, whether through differentiation in the consumer or supplier experience, use of advanced data science models, integration with our partners, unlock of meaningful cost reduction, or creation of cutting-edge services and features.
Hard business
Gemäß Jeff Bezos gibt es schwer und einfach aufzubauende Geschäftsmodelle. Je schwerer, desto besser sind sie, wenn sie aufgebaut wurden, gegen Konkurrenten zu verteidigen.
Ich glaube, dass Möbel Onlinehandel ein „hard business“ ist, da:
- eine eigene Logistik bis in die Wohnung schwer aufzubauen, aber gleichzeitig ein hoher Kundenvorteil ist
- Retouren nicht einfach oder günstig abzuwickeln sind
- Technik und Mode auch digital einfach vorstellbar sind, Möbel oft weniger (hier braucht es bspw. gut funktionierende Augmented und Virtual Reality Lösungen)
Auch der CEO schreibt im aktuellsten Shareholder Letter, dass es einfach ist Versprechungen zu machen, es aber schwierig ist diese Millionen Mal im Jahr auch zu erfüllen:
As we often tell our team: it is easy to put up a website that makes promises customers will love; the hard part is making good on those promises consistently, tens of millions of times a year.
Wayfair hat dieses „hard business“ bereits im Kern geknackt und kann es dadurch nun umso besser verteidigen. Wer in diesen Markt eintritt, muss viel höhere Hürden bewältigen.
Angebot & Lieferanten
Wayfair arbeitet mit über 23.000 Lieferanten zusammen, von denen keiner über 2% Anteil ausmacht. Das ist erstaunlich am Markt: Er ist groß, hoch fragmentiert und kaum durch große Marken geprägt.
Gleichzeitig ist Wayfair „asset-light“ unterwegs: Der Großteil der Ware wird vom Lieferanten direkt per Wayfair zum Kunden geschickt, gar nicht zwischengelagert. Das senkt Kosten und bindet weniger Kapital, mit dem Nachteil, womöglich längere Lieferzeiten zu haben.
Markenaufbau
Wayfair ist selbst auch Marke für Möbel und baut im eigenen Konzern weitere Marken auf. Wayfair erzielt 72% des Umsatzes in den USA über eigene Marken.
Die Chance: Wenn Wayfair nicht nur der Online-Händler ist, sondern auch die Marge des Markenherstellers einstreicht, steigt die Gewinnmarge.
Marktpotenzial
Der Markt ist enorm groß. Allein in Nordamerika und Westeuropa geht Wayfair bis 2030 von einer Marktgröße über 1 Bio. US-Dollar aus. Am Wachstumspotenzial wird Wayfair definitiv nicht scheitern.
Wayfair weist außerdem auf das hin, was ich im Intro betont habe: Im Home-Markt liegt der Online-Anteil der Umsätze bei 20%, in anderen Kategorien (bspw. Mode oder Technik) liegt der Online-Anteil schon bei über 50%. Allein dadurch besteht noch großes Potenzial.
Konkurrenz & Wayfairs Position
Zum einen gibt es andere Online-Händler. Dazu zählen auch deutsche Unternehmen wie home24 oder Westwing. Auch Online-Händler wie Amazon oder Otto mischen hier mit.
Bei den US-Zahlen lag Wayfair 2019 mit einem Marktanteil von 33% vorne, Amazon knapp dahinter auf Platz 2. Der ehemalige stellvertretende Deutschlandchef von Amazon ist übrigens mittlerweile Europachef von Wayfair.
Auch E-Commerce Experte Jochen Krisch hat Wayfair in seinen Fonds GLORE50 aufgenommen, der als Ziel ausgerufen hat in die besten E-Commerce Unternehmen zu investieren.
Auf der anderen Seite gibt es Online- und Offline-Händler, die – rein zahlenmäßig – heute den Großteil des Marktes ausmachen. Dazu gehören Milliardenunternehmen wie IKEA oder XXXLutz mit einem wachsenden Firmenkonglomerat. Daneben gibt es noch viele weitere Möbelanbieter, die global variieren.
Strategie & Chancen
Der Markt hat Herausforderungen, die Wayfair auf unterschiedliche Arten lösen will.
AR, VR & Metaverse
Je besser es möglich ist, Möbel im eigenen zuhause erlebbar zu machen, desto stärker beflügelt das Online-Händler wie Wayfair. Nicht nur das: Es könnte das Einkaufserlebnis sogar deutlich besser machen als in einer Filiale, die nicht die eigene Wohnung darstellt.
Damit könnte das Metaverse und die dahinterstehenden Technologien für Möbel-Onlinehändler einer der wichtigsten Anwendungsfälle werden.
Kunden könnten zuhause sitzen und sich bestmöglich vorstellen, wie das eigene Sofa aussehen würde. Oder ob ein anderer Küchentisch schicker wäre. Unter dem Punkt „Dynamic Shopping Experience“ möchte Wayfair genau hierfür immer bessere Lösungen entwickeln.
Dazu gehören auch personalisierte Erfahrungen anhand der Bestellhistorie. Diese könnte erkennbar machen, welchen Einrichtungsstil der Kunde bevorzugt.
Value-Added Services
Für Lieferanten bietet Wayfair zusätzliche Services an. Die Logistik beginnt beim Zulieferer und liefert bis zum Kunden, alles gesteuert von Wayfair. Dazu bietet Wayfair Technologie an, bspw. Werbemöglichkeiten (das kennen wir auch von Amazon) und Bilderstellung der Möbel in einem realistischen Umfeld.
Logistik
Die Logistik dient nicht nur den Lieferanten, sondern auch den Kunden von Wayfair (und damit auch Wayfair selbst). Durch das Logistik-Netzwerk kann Wayfair schneller liefern, Schäden reduzieren und Kosten einsparen.
Meine Bewertung des Geschäftsmodells
Ein stärkeres Geschäftsmodell ermöglicht Wachstum, einen Burggraben und damit Differenzierbarkeit von der Konkurrenz, höhere Gewinnmargen und Preismacht.
Wie schneidet das Unternehmen in der Geschäftsmodell-Bewertung der Scorecard ab? Tiefergehende Erklärungen zu den Kriterien gibt’s hier und hier.
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