Amazon, Netflix, Spotify, Uber, Tesla, Zalando, home24 – sie alle haben eins gemeinsam: Jahrelang hohe Verluste, teilweise noch heute, und trotzdem eine Bewertung in Millionen- und Milliardenhöhe. Wie kann das sein?
Ich gehe darauf ein:
- Was die Kritik an unprofitablen Wachstumsunternehmen ist
- Ob es berechtigt ist, dass Unternehmen, die noch keinen Cent verdient haben, Milliarden wert sind
- Warum ein Großteil dieser Kritik falsch ist und welche guten Gründe für unprofitables Wachstum gibt
- 3 Gründe, warum sich schnelles Wachstum in der digitalen Welt lohnt
- Konkretes Beispiel: 4 Gründe, warum Netflix schnell wachsen muss
Ich empfehle dir, das Video anzuschauen. Falls du aber lieber liest, findest du hier die Zusammenfassung des Videos in kompakter Form:
Die Kritik an Wachstumsunternehmen
Unprofitable Wachstumsunternehmen werden immer wieder kritisiert. Selbst Günther Jauch hat sich zuletzt im OMR Podcast gewundert, wie Spotify so wertvoll sein könne, wenn es noch nie profitabel war.
Die kurze Antwort: Weil der Markt zukünftig Gewinne erwartet. Die Vergangenheit ist dafür irrelevant.
Das wird dann oft als Fantasie oder als absurde Wunschvorstellungen abgebildet, bei der naive Investoren unprofitable Geschäftsmodelle durchfüttern. So ist es aber meistens nicht.
Amazon hat einen starken Gegenbeweis geliefert: Jahrelang hat es nur Verluste erzielt, ist heute aber eines der wertvollsten Unternehmen der Welt.
Und natürlich kann es der Fall sein, dass Wachstumshoffnungen zu Unrecht finanziert und hoch beweret werden. In vielen Fällen verstehen Anleger und auch Börsenexperten aber nicht die Gesetze, die für die neue Welt der Tech- und Digitalunternehmen, gelten.
Warum verlieren also Unternehmen absichtlich Geld? Warum sind diese dann trotzdem Milliarden wert? Und warum ist das oft sogar eine kluge Entscheidung?
Die Unit Economics hinter unprofitablem Wachstum
Machen wir eine beispielhafte Rechnung:
Du hast ein Abo-Produkt. Ein Kunde zahlt dir jährlich 500€. Ein Kunde bleibt im Durchschnitt 5 Jahre lang bei dir. Du hast also einen Gesamtumsatz von 2.500€.
Nun kostet dich das Marketing, um einen Kunden zu gewinnen, in diesem Beispiel 1.200€.
Dein Kundenwert (CLV) liegt also deutlich über deinen Akquisitionskosten (CAC). (hier erfährst du mehr zu CLV und CAC)
Es ist offensichtlich sinnvoll, diese Kunden einzukaufen. Genau das wird aber dazu führen, dass du am Anfang drauf zahlst, da jeder einzelne Kunde erst nach 3 Jahren für dich profitabel ist.
Dieses Konzept gilt nicht nur bei Abo-Produkten. Auch Tarek Müller vom milliardenschweren Fashion-Onlinehändler About You nennt dieses Konzept immer wieder: Kunden sind beim Erstkauf nicht profitabel, erst beim dritten oder vierten Kauf. Auch jedes Land, in das About You expandiert, startet erst unrentabel: Die Logistik muss aufgebaut werden, die Marke etabliert werden, die Prozesse ineinander greifen etc.
Wir sehen also: Es macht betriebswirtschaftlich Sinn, vorübergehende Verluste in Kauf zu nehmen, um die langfristigen Gewinnaussichten – die den Wert eines Unternehmens bestimmen – zu steigern.
Und es gibt ziemlich gute Gründe, dieses Wachstum schnell anzufeuern.
Warum schnelles Wachstum für Digitalunternehmen sinnvoll ist
Vorher müssen wir einmal ein Problem verstehen, das aktuell an der Börse vorherrscht: Die meisten Anleger und selbst Experten betrachten die Welt, die Wirtschaft und Aktienunternehmen immer noch wie in den letzten Jahrzehnten. Klassische Unternehmen – McDonalds, Coca Cola, Nestlé – beruhten auf Einkauf, Produktion und Verkauf. Eine Marge blieb über und das war der Gewinn.
Digitale Unternehmen und Technologie-Unternehmen ticken anders – und mittlerweile sind 7 der 10 größten Unternehmen der Welt Tech-Unternehmen – aktuell belegen diese sogar die 7 obersten Plätze. Dort spielen ganz andere Konzepte eine Rolle.
Schnelligkeit und Aggressivität im Wachstum hilft diesen Unternehmen, da…
- sie Kunden gewinnen, bevor Konkurrenten dies machen
- oft Netzwerkeffekte greifen, die Produkte für die Nutzer wertvoller machen
- mehr Nutzerdaten erzielt werden, wodurch das Produkt verbessert werden kann und ein Vorteil gegenüber den Konkurrenten besteht, die mit weniger Nutzerdaten auskommen müssen
- eine Skalierung die Umsatzseite steigen lässt, aber nicht die operativen Kosten
Beispiel: Netflix
Gehen wir das an einem konkreten Beispiel durch: Netflix.
- Wenn Netflix zu langsam ist, werden die Konkurrenten – wie bspw. Amazon, Apple oder Disney – Kunden gewinnen. Es wird danach umso schwerer, die Kunden von einem Wechsel zu überzeugen oder von einem zweiten oder dritten Streaming-Angebot.
- Je mehr Nutzer Netflix nutzen, desto wertvoller wird das Produkt für diese, da sie sich über die Inhalte austauschen und sich gegenseitig Empfehlungen geben können.
- Je mehr Nutzerdaten Netflix bekommt, desto besser kann Netflix personalisierte Empfehlungen vorschlagen, die mit anderen Nutzern mit ähnlichem Nutzungsverhalten abgeglichen werden.
- Ob Netflix einen Inhalt, bspw. eine Serie, produziert oder einkauft und diese dann 1 Mio. oder 100 Mio. Menschen zugänglich macht, ändert nichts an den Kosten. Das bedeutet: Die Produktionskosten pro Zuschauer sinken mit der Skalierung enorm.
Deshalb ist es auch aus der Netflix-Sicht klug, Verluste in Kauf zu nehmen, um ein besseres Produkt zu erschaffen und Marktanteile früh zu sichern.
Wenn kein Geld verloren wird, könnte das sogar ein Indikator sein, dass das Unternehmen zu langsam wächst. Stell dir vor, du bist Netflix-Aktionär: Würdest du dem Netflix CEO raten, langsamer zu machen? Die gleiche Nutzerbasis lieber über 15 Jahre aufzubauen, statt jetzt schneller und möglicherweise erstmal unprofitabel zu wachsen?
Einordnung: Unprofitables Wachstum kann gut und schlecht sein
Geld zu verlieren allein ist natürlich kein Kaufgrund. Es funktioniert nur dann, wenn dem eine betriebswirtschaftlich vernünftige Rechnung entgegen steht.
Gern wird dabei eine Kohortenanalyse durchgeführt. Das Ziel: Herauszufinden, wie hoch der Kundenwert ist. Dabei ist eine mögliche Fragestellung: Sind ältere Kohorten, also bspw. Kunden, die vor 5 Jahren eingekauft wurden, profitabel? Wie lange muss ein Kunde aktiv sein, um profitabel zu werden? Wie profitabel ist ein solcher Kunde und reicht es, um die laufenden operativen Kosten zu decken?
Wenn diese Aussicht positiv ist, kann trotz Verlusten ein enormer Wert entstehen. Wenn Unternehmen Geld verlieren, aber (a) weder wachsen noch (b) positive Entwicklungen Richtung Profitabilität anzeigen, ist das ein Warnzeichen – home24 ist dafür ein Beispiel, was auch der stark gefallene Aktienkurs widerspiegelt.
Klar ist: Wir brauchen andere Werkzeuge, um solche Unternehmen zu bewerten. Klassische Bewertungsverfahren über das KGV funktionieren nicht, wenn es noch keinen Gewinn gibt.
Wir stellen also fest: Es kann völlig gerechtfertigt sein, dass Unternehmen Geld verlieren und trotzdem hoch bewertet sind. Die herkömmliche Denke, sofort profitabel zu sein, funktioniert nicht bei Technologie- bzw. Wachstums-Unternehmen.