Telemedizin klingt sinnvoll: Es kombiniert das Gesundheitswesen mit moderner Technologie. Das verspricht ein sinnvolles Produkt, dauerhaftes Wachstum und auch hohe Profitabilität.
In der Pandemie wurde die Lösung umso naheliegender und entsprechend nach oben gingen die Hoffnungen. Vom Hoch ist die Aktie aber bis heute 90% abgestürzt, auch wenn es zuletzt einen 20%-Sprung nach oben nach den neuesten Quartalszahlen gab.
Warum ist die Hoffnung enttäuscht worden und wie kam es zu dem Absturz? Gibt es jetzt wieder einen Hoffnungsschimmer? Darauf schaue ich heute. Viel Spaß!
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90%-Absturz
Tja, Teladoc Health ist eine der wenigen High Growth Hoffnungen, die nicht spurlos an mir und meinem Depot vorbeigegangen ist. Zur Transparenz gehört: Die Aktie liegt bei mir mit 60% im Minus und die Analyse aus Januar '22 ist natürlich heute noch online.
Teladoc Health ist eine Telemedzin-Anbieter. Vereinfacht gesagt ist es eine technologische Lösung, bspw. per App, um Arztbesuche virtuell abzuhalten und Behandlungen abzustimmen. Es ist vor allem in den USA verbreitet, wo es über 100 Mio. Kunden hat.
Damals lag die Aktie schon etwa 60% unter dem Allzeithoch, also glücklicherweise bin ich weit entfernt davon eingestiegen. Die Position war auch eine kleinere, ist heute die zweitkleinste. Vor Verlusten schützt das trotzdem nicht.
Vor wenigen Tagen ging es 20% nach oben, auch wenn das im langfristigen Chart kaum sichtbar ist.
Das war mein Fazit damals:
Teladoc Health ist eine langfristige Zukunftswette. Sie geht mit einer großen Chance, aber auch höheren Risiken einher.
Was mich optimistisch stimmt: Der Markt ist groß, das Geschäftsmodell stark und ich sehe kein Unternehmen, das in dem Bereich aktuell besser positioniert ist als Teladoc Health. Dazu ist das Geschäftsmodell auch langfristig attraktiv, da es durch eine alternde Bevölkerung und Digitalisierung überdurchschnittlich stark wachsen sollte und zudem nicht oder kaum von wirtschaftlichen Krisen abhängig ist.
Skeptisch sehe ich die Internationalisierung, einige rückläufige Metriken und die zuletzt eher leicht heruntergeschraubten Prognosen, gerade beim Neukundenwachstum.
Aber: Die Bewertung ist auch recht günstig mit einem KUV von 5 bis 6 und einem Kursniveau, das dem von 2018 entspricht. In meiner Renditekalkulation bin ich deutlich vorsichtiger als Teladoc selbst (25% weniger Umsatz in 2024 als versprochen), komme aber trotzdem auf eine gute Renditeerwartung.
Die Aktie ist nicht risikolos, dadurch sehe ich aber geringes Abwärtsrisiko und mittleres bis hohes Aufwärtsrisiko, unterm Strich also ein gutes Chance-Risiko-Verhältnis.
Die Risiken waren also sichtbar. Schauen wir aber, warum das optimistische Szenario nicht aufgegangen ist und wie die Aktie heute da steht.
Der krachende 90%-Absturz beginnt
Die größte Akquisition fand im August 2020 statt, in welcher die Akquisition von Livongo Health für 18,5 Mrd. US-Dollar bekannt gegeben wurde. Das ist ganz schön erstaunlich, da heute das gesamte Unternehmen nur 4 Mrd. US-Dollar wert ist.
Diese Akquisition ist wohl auch einer der Gründe, warum es so stark bergab ging. Denn das Wachstum hat sich unerwartet schnell verlangsamt, die Verluste haben sich ausgeweitet - jetzt von einem größeren Unternehmen - und gleichzeitig wurden Aktionäre stark verwässert, da die Akquisition v.a. mit eigenen Aktien bezahlt wurde.
Schauen wir auf das Umsatzwachstum. Schon vor der Pandemie hat es sich abgeflacht, dann aber wieder Fahrt aufgenommen. Wir müssen uns daran erinnern: In vielen Bereichen ging man von einer dauerhaften Verhaltensänderung aus und auch ich ging davon aus, dass wir für Telemedizin ein dauerhaft höheres Wachstum sehen würden.
Das war nicht so. Recht kurz nach der Akquisition ist das Wachstum immer weiter gefallen, zuletzt auf den Tiefstand von 15% über die letzten 12 Monate.
Das wäre halb so wild, wenn dafür die Profitabilität gestiegen wäre. Das Gegenteil war aber der Fall. Das operative Ergebnis (rote Linie) war 2021 kurz vor dem Break Even, ist dann aber deutlich abgestürzt und seitdem verliert Teladoc Health mind. 200 Mio. Dollar pro Jahr.
Der operative Cashflow (blaue Linie) sieht besser aus und hat sich auch wieder erholt. Er ist allerdings auch deshalb so positiv, da Teladoc Health viele Mitarbeiteroptionen ausgibt.
Neueste Q2 '23 Zahlen im Check
Erst am 25.07. gab es neue Quartalszahlen:
- Umsatz: +10% YoYYear-over-Year. Bezeichnet den Vergleich einer Kennzahl im Vergleich zum Vorjahr (bspw. Quartal 4 des aktuellen Jahres zu Q4 des Vorjahres). More auf 650 Mio. USD (im ersten Halbjahr +11%)
- Adj.Bei "adjusted" Kennzahlen wird eine nach Standard-Richtlinien (GAAP) berechnete Kennzahl um Sondereffekte bereinigt, wird dann zur "Non-GAAP" Kennzahl. Diese Sondereffekte können aktienbasierte Vergütungen, Restrukturierungskosten oder Währungsschwankungen sein. Sie können einen besseren Vergleich ermöglichen, aber... More EBITDA: 72 Mio. USD
- Ergebnis: -65 Mio. USD (-10% Nettomarge)
Nur 10% Umsatzwachstum und trotzdem sehen die Umsatzbalken in der folgenden Grafik so aus, als hätte der Umsatz sich fast verdoppelt - eine schöne optische Illusion, die hier aufgebaut wird.
Die beiden Segmente, Integrated Care und BetterHelp, sind ähnlich groß. Das Wachstum kam eher aus letzterem.
Das Ausweisen vom Adj.Bei "adjusted" Kennzahlen wird eine nach Standard-Richtlinien (GAAP) berechnete Kennzahl um Sondereffekte bereinigt, wird dann zur "Non-GAAP" Kennzahl. Diese Sondereffekte können aktienbasierte Vergütungen, Restrukturierungskosten oder Währungsschwankungen sein. Sie können einen besseren Vergleich ermöglichen, aber... More EBITDA gefällt mir nicht. Es bereinigt zu viel und beschönigt damit die Profitabilität. Schauen wir also genauer hin.
Das EBITDA war nun in Q2 '23 immerhin minimal positiv, also auch, wenn man die aktienbasierte Vergütung (sinnvollerweise) nicht herausrechnet. Das Nettoergebnis ist allerdings durchgehend negativ - in Q4 '22 in der Höhe durch hohe Sonderabschreibungen - und lag immer noch bei -65 Mio. US-Dollar.
Aufs Jahr hochgerechnet wären das ca. 260 Mio. USD Verlust.
Oben haben wir gesehen, dass der Cashflow positiver aussah und dieser ist auch entscheidender für die Frage, wie lange Teladoc Health überleben kann.
Im ersten Halbjahr '23 kamen 114 Mio. Dollar operativer Cashflow zusammen. Im Wesentlichen sieht es so deutlich besser als das Ergebnis aus durch wegfallende Abschreibungen und aktienbasierte Vergütung.
So kann Teladoc wohl durchaus noch gut überleben, allerdings wird durch die Herausgabe von Aktienoptionen jeder Aktionär immer weiter verwässert (= der Anteil am Unternehmen durch eine Aktie sinkt).
Den größten Anstieg gab's zur Livongo-Akquisition, aber auch unabhängig davon sehen wir, dass es mit der Zeit immer mehr Aktien gibt und das wird wohl erstmal so weitergehen.
Renditeerwartung: Heute schon ein Schnäppchen?
Das KUV liegt bei 1,5, das KBV bei 1,6, das EV/FCF-Verhältnis bei 19. Das sind Werte, die nur noch ganz leicht über dem Marktdurchschnitt sind. Das KGV ist negativ.
Das Wachstum soll in 2023 leicht abnehmen, am Ende bei 8 - 11% liegen. Die Profitabilität soll sich immerhin leicht verbessern.
- Umsatzwachstum: Ich schätze es kurzfristig auf 8% (also auch die Mitte der Guidance fürs kommende Quartal). Analysten liegen kurzfristig bei 6 - 8% p.a., mittelfristig etwa 10% p.a. Prinzipiell sehe ich immer noch die Rückenwinde für das Modell, wenn auch deutlich schwächer als vor 1,5 Jahren gedacht, daher nehme ich langfristig 7% an.
- Nettomarge: Es ist unklar, ob Teladoc überhaupt profitabel werden kann. Wenn nicht, ist die Renditeerwartung -100%. Ich nehme aber im Mittel mal 5% Nettomarge an, was für ein Tech-Modell recht wenig ist. Tendenziell würde die Bruttomarge von 70% auch mehr hergeben, dann hätte ich nur heute schon mehr Profitabilität erwartet.
- Bewertung: Ich nehme aufgrund der anderen, vorsichtigen Annahmen ein eher marktdurchschnittliches Bewertungsniveau eines 16er KGVs an.
- Sonstiges: Da die Nettomarge um die aktienbasierte Vergütung bereinigt ist, habe ich die Verwässerung nicht separat inkludiert. Als Börsenwert nehme ich die Mitte aus Marktkapitalisierung (3,7 Mrd. USD) und Enterprise Value (4,4 Mrd. USD). Kapitalrückfuhr nehme ich nur minimal Richtung Ende des 10-Jahres-Zeitraums an.
Renditerechner-Tool
Berechnung der Renditen in drei Szenarien. Erklärung hier. Zahlen in Heimatwährung. Aktienticker: TDOC.
Status Quo » Die Zahlen heute
Zukunft » Annahmen zur Wertentwicklung
Die kurzfristigen Werte nähern sich über einen 10-Jahres-Horizont an die langfristigen an.
kurzfristig, in % Wie stark ist das Umsatzwachstum im nächsten Jahr?
langfristig, in % Wie hoch wird das Umsatzwachstum in 10 Jahren erwartet?
kurzfristig, in % Wie hoch ist der Nettogewinn im Verhältnis zum Umsatz heute?
langfristig, in % Wie hoch ist der Nettogewinn im Verhältnis zum Umsatz in 10 Jahren? Indikatoren: Heutige Nettomarge, EBIT-Marge & Free Cashflow Marge.
langfristig Wie hoch wird das Unternehmen in 10 Jahren - auch beruhend auf den anderen Annahmen - fair bewertet sein? Je stärker die Zahlen & das Geschäftsmodell, desto höher die mögliche Bewertung.
Keine Garantie für die Zukunft.
Fortgeschrittene Optionen einblenden +Hierzu muss klar gesagt werden, dass es hier auch ein Insolvenzrisiko gibt. Für ein noch deutlich optimistischeres Szenario als das kalkulierte fehlt mir aktuell die Fantasie.
Mein Fazit
Die These finde ich auch im Nachhinein nachvollziehbar. Auch jetzt noch überrascht mich, wie deutlich der Absturz war. Die größten Warnzeichen waren der vor der Pandemie abflachende Umsatz (wobei ich eher davon ausging, dass die Pandemie die Wachstumsraten dauerhaft erhöht), die teure Akquisition und schon die recht breite Abdeckung in den USA.
Die Aktie ist nun zu Recht so stark abgestraft worden. Es scheint so viel Pessimismus eingepreist, das selbst die letzten Q2 '23 Zahlen die Aktie mal eben 20% nach oben schicken können. Ob sie nun attraktiv ist?
Leider gibt es wenig Lichtblicke. Das Wachstum ist ziemlich niedrig und ich weiß nicht, woher nochmal ein Wachstumsschub kommen sollte. Das Unternehmen verliert, wenn wir saubere Profitabilitätsmetriken anschauen, immer noch Geld. Das ist ein schwieriges Vorhaben und keins, das eine hohe Bewertung rechtfertigt.
Hoch ist die Bewertung nicht mehr, aber das große Schnäppchen sehe ich noch nicht. Konsequenterweise müsste ich mich daher von meinen Anteilen trennen.