von Jannes Lorenzen

Gründer, Strategie-Lead & Investor

veröffentlicht: 1. März 2023

Aus reiner Geschäftsmodell-Sicht hätte ich mir Stellantis wohl nicht angeschaut. Im Konzern werden viele niedrig- bis mittelpreisige Automarken gebündelt, von denen die wenigsten glänzen.

Spannend ist aber die aktuelle Bewertung: Zuletzt war Stellantis deutlich profitabel. Die Aktie notiert etwa zum 3-fachen des aktuellen Gewinns. Dazu übersteigt sogar das Cash noch die Verbindlichkeiten.

Gibt es hier eine Deep Value Chance für ein unspektakuläres Geschäftsmodell? Das schaue ich mir hier ein - weniger Fokus aufs Geschäftsmodell als sonst, sondern mehr auf die Finanzmathematik dahinter. Viel Spaß!

Stellantis: Ein Dach für Automarken aller Art

Stellantis ist ein europäisch-amerikanischer Automobilkonzern mit Hauptsitz in der Niederlande. Zum Konzern gehören 14 Marken:

Abarth, Alfa Romeo, Chrysler, Citroën, Dodge, DS Automobiles, Fiat, Lancia, Maserati, Opel, Peugeot, Vauxhall, Jeep. Dazu kommen noch Zulieferer, die ebenfalls Teil des Konzerns sind.

Für mich strahlen diese Marken eher wenig Glanz aus. Allerdings sind einige Marken in den USA deutlich präsenter (Dodge, Chrysler), einige in Nischen beliebt (Jeep) und mit Maserati auch ein Luxusanbieter dabei.

Intuitiv habe ich meine Skepsis bei einem so gemischten Geschäft. Einerseits kann es Synergien geben, bspw. durch aufgekaufte Zulieferer. Andererseits wird eine Luxus- oder Premium-Marke wie Maserati die Konzernzugehörigkeit tendenziell. Volkswagen hat Porsche gerade separat an die Börse gebracht.

Stellantis wird heute mit ~55 Mrd. Euro bewertet. Gleich tauchen wir tiefer ein, ob dieser Wert zu hoch oder zu niedrig sein könnte.

Geschäftsentwicklung

Die Automobilbranche hat bis heute eher eine Angebotsknappheit, was die Preise, damit auch die Umsätze und Margen steigert. Stellantis jüngste Zahlen waren stark:

  • Umsatz: 180 Mrd. Euro, +18% YoY
  • Adj. Operatives Ergebnis: 23 Mrd. Euro, +29% YoY
  • Ergebnis: 17 Mrd. Euro, +26% YoY
  • Free Cashflow: 11 Mrd. Euro, +78% YoY

Die Bewertung von Stellantis signalisiert viel Pessimismus. Stellantis selbst peilt aber an, bis 2030 20 Mrd. Euro an Free Cashflow zu erzielen und den Umsatz auf 300 Mrd. Euro zu steigern.

Außerdem sollen 4 Mrd. Euro ausgeschüttet werden, was 1,34 Euro pro Aktie entspricht. Beim Aktienkurs von ~16,5 Euro entspricht das über 8% Dividendenrendite. Dazu kommen Aktienrückkäufe bis zu 1,5 Mrd. Euro, was bedeutet, dass allein in 2023 über 10% des Börsenwerts allein über Dividenden und Aktienrückkäufe an Aktionäre zurückfließen.

Elektro, Batterie & Tech

Der Verkauf von Elektroautos war mit +41% überdurchschnittlich, verkauft wurden knapp 300.000 E-Autos in 2022. Das Portfolio soll von 23 Modellen (heute) auf 47 Modelle bis Ende 2024 mehr als verdoppelt werden. Bis 2030 sollen es 75 Modelle werden, von denen dann 5 Mio. Stück verkauft werden sollen.

TECH: Stellantis’ electrification push accelerated with a 41% increase in global battery electric vehicle (BEV) sales year-over-year, to 288,000 vehicles in 2022. With 23 BEVs now in market, the BEV portfolio will more than double to 47 by the end of 2024, supporting the target to have more than 75 BEVs globally and global BEV sales of 5 million by 2030.

Für die Batteriebeschaffung sollen fünf Gigafactories gebaut werden.

The Company confirmed locations for five gigafactories (three in Europe and two in North America), with Automotive Cells Company, Samsung SDI and LG Energy Solution.

Für die Entwicklung der Software werden eigene Entwickler eingestellt, aber auch mit Foxconn, Qualcomm und Amazon zusammengearbeitet. Hier könnte Stellantis möglicherweise Skaleneffekte entwickeln, wenn Synergien zwischen den Marken hergestellt werden (bspw. ähnliche Software-Plattformen).

Stellantis’ software advancements gained ground enabled by the deep partnerships with Amazon, Foxconn and Qualcomm, the hiring of more than 1,500 software engineers, and the ∼700 graduates from the Software and Data Academy.

Das Zahlenwerk aus Value-Sicht

Was kostet Stellantis heute? Die Marktkapitalisierung liegt bei 52 Mrd. Euro. Der Enterprise Value liegt laut einigen Finanzportalen bei ~35 Mrd. Euro. In den jüngsten Zahlen weist Stellantis eine Nettocashposition von 25 Mrd. Euro für das operative Geschäft aus (also kurzfristiges Vermögen abzüglich der Verschuldung), womit der Enterprise Value bei 27 Mrd. Euro liegen würde.

Die Unterschiede gehen wohl auf unterschiedliche Zeiträume (nicht alle inkludieren die neuesten Quartalszahlen) und Berücksichtigung des Finanzgeschäfts (Autoleasing und -finanzierung) zurück. Ich kalkuliere die Bewertungskennzahlen erstmal auf Basis der höheren Zahl.

Demgegenüber stehen der Gewinn von 17 Mrd. Euro und der Free Cashflow von 11 Mrd. Euro. Es ergeben sich folgende Bewertungskennzahlen:

  • KGV: 3,3 (= 30% Gewinnrendite)
  • K-FC-V: 4,7 (= 21% Free-Cashflow-Rendite)
  • EV-FC-V: 3
  • EV-EBIT-V: 2
  • KGVe: 4,2

Jedes Bewertungsverhältnis, egal ob Marktkapitalisierung oder Enterprise Value und egal ob Ergebnis oder Cashflow, liegt unter 5.

Anders gesagt: Stellantis könnte sofort das Geld der Nettocashposition ausschütten, der Käufer von Stellantis würde für das Kerngeschäft effektiv also nur ~35 Mrd. Euro zahlen (bzw. nur 27 Mrd. Euro nach der anderen Variante). Für diese 35 Mrd. Euro erhält man aktuell 17 Mrd. Euro Gewinn oder 11 Mrd. Euro Free Cashflow, der Kaufpreis wäre damit - wenn die Erträge stabil bleiben - in spätestens drei Jahren komplett erwirtschaftet.

Das setzt voraus, dass diese Erträge auch in Zukunft bestehen. Das etwas höhere KGVe zeigt schon, dass Analysten von einem leichten Gewinnrückgang ausgehen. Trotzdem liegt das KGVe noch bei 4,2 (= 24% Gewinnrendite).

Was erwartet uns in Zukunft?

Schauen wir genauer auf die Zukunftsaussichten:

  • Umsatzwachstum: kurzfristig 3% p.a. (Analystenschätzung)
  • Gewinnwachstum: kurzfristig -5% p.a. (Analystenschätzung)
  • Eigene Schätzung bis 2030: Etwa 6,5% Umsatz- und Cashflow-Wachstum pro Jahr

In der Mercedes-Benz Aktienanalyse habe ich beschrieben, dass ich allgemein von Sonderkonjunktur und daher zurückgehenden Margen im Automobilbereich ausgehe. Das deckt sich mit der Analystenschätzung.

Trotzdem sieht der Ausblick bei Stellantis nicht so schlecht aus, wie es die Bewertung nahelegt.

Die Historie zeigt aber, wie sehr die Zahlen aktuell über dem historischen Durchschnitt liegen.

Zuletzt lag die Nettomarge bei 9%, die operative Marge bei 12%. Davor war die Marge leicht positiv, aber im niedrigen einstelligen Bereich. Die operative Marge lag in den letzten zehn Jahren meist zwischen 3 und 6%, die Nettomarge zwischen 0 und 3%. In den letzten fünf Jahren vor 2022 waren es eher 3 - 4% Nettomarge.

Renditeberechnung

Werfen wir die Zahlen einmal in den Renditerechner. Ich rechne bewusst pessimistische Szenarien durch. Das optimistische Szenario ist das, was Stellantis erwartet.

Man kann darüber streiten, ob die Marktkapitalisierung oder der Enterprise Value die bessere Kennzahl als Ausgangsbasis ist. Ich finde, eine Nettocashposition sollte positiv berücksichtigt werden. Ich habe oben dargelegt, dass die Zahlen von 27 bis 35 Mrd. Euro variieren, ich setze den vorsichtigeren Wert von 35 Mrd. Euro an.

Das positive Szenario ist leicht unter dem, das Stellantis selbst anpeilt und entspricht eher den Analystenerwartungen. Das mittlere Szenario ein leicht zurückgehender Umsatz bei sinkender Marge, die aber noch über dem historischen Durchschnitt liegt. Das pessimistische Szenario ist eine sehr dünne Marge bei konstantem Umsatzrückgang.

Wichtig: Das Szenario, das Stellantis selbst anpeilt, wäre wohl noch positiver als alle hier kalkulierten. Diese Renditeberechnung ist bewusst vorsichtig.

Renditerechner-Tool

Berechnung der Renditen in drei Szenarien. Erklärung hier. Zahlen in Heimatwährung.

Status Quo » Die Zahlen heute

Möglichst der letzten 12 Monate, also TTM (Trailing Twelve Months), um die aktuellsten Daten zu nutzen.
Anteil am Gewinn, der als Dividende ausgeschüttet, per Aktienrückkauf oder per Schuldentilgung an Aktionäre zurückgeführt wird. Bei Wachstumsunternehmen oft 0%.

Zukunft » Annahmen zur Wertentwicklung

Die kurzfristigen Werte nähern sich über einen 10-Jahres-Horizont an die langfristigen an.

↘︎
↗︎
Wachstum
kurzfristig, in % Wie stark ist das Umsatzwachstum im nächsten Jahr?
Wachstum
langfristig, in % Wie hoch wird das Umsatzwachstum in 10 Jahren erwartet?
Nettomarge
kurzfristig, in % Wie hoch ist der Nettogewinn im Verhältnis zum Umsatz heute?
Nettomarge
langfristig, in % Wie hoch ist der Nettogewinn im Verhältnis zum Umsatz in 10 Jahren? Indikatoren: Heutige Nettomarge, EBIT-Marge & Free Cashflow Marge.
KGV
langfristig Wie hoch wird das Unternehmen in 10 Jahren - auch beruhend auf den anderen Annahmen - fair bewertet sein? Je stärker die Zahlen & das Geschäftsmodell, desto höher die mögliche Bewertung.
Umsatz
Marktkapitalisierung
Wertsteigerung
Shareholder Yield
Gesamtrendite
Fairer Aktienkurs
Margin of Safety

Keine Garantie für die Zukunft.

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Um es zu betonen: Analysten erwarten eher das, was hier das optimistische Szenario ist. Es gäbe auch Argumente, den Börsenwert im Sinne des Enterprise Values durch die hohe Nettocashposition niedriger anzusetzen, wodurch die erwartete Rendite steigen würde.

Es zeigt aber auch: In dem Worst-Case-Szenario, das Stellantis wieder auf enorm niedrige Margen bei sinkendem Umsatz fällt, gibt es auch trotz der günstigen Bewertung ein Abwärtsrisiko.

Chancen & Risiken

Ein kurzer Abgleich einiger Chancen und Risiken:

  • Jedes Szenario, in dem Stellantis langfristig weitestgehend weiter die aktuellen Umsätze und Erträge erzielt, würde wohl starke Renditen produzieren
  • Einzelne starke Marken (Maserati, Jeep) könnten wertsteigernd einzeln an die Börse gebracht werden
  • Das Kurs-Buchwert-Verhältnis liegt bei 0,8. Heißt vereinfacht gesagt, dass das Eigenkapital von Stellantis den Börsenwert aktuell übersteigt. Das Verhältnis ist aber höher als bei anderen Automobilkonzernen.
  • Das Risiko ist das Szenario einiger Tesla-Anhänger, wonach außer Tesla und ein paar chinesischen Konzernen quasi jeder Automobilkonzerne dem Untergang geweiht ist
  • Ein Risiko ist, dass die Margen und ggf. Umsätze durch die aktuelle Sonderkonjunktur deutlich stärker zurückgehen als erwartet, wobei hier schon viel Pessimismus eingepreist zu sein scheint

Mein Fazit

Stellantis ist kein Konzern, den ich auf 10 Jahressicht im Depot haben würde. Er ist allerdings zurzeit erstaunlich günstig bewertet. Mir fehlt aktuell die Fantasie, mir ein deutliches Abwärtsszenario vorzustellen.

Selbst wenn Umsätze und Gewinne zurückgehen, hat der Konzern recht viel Cash (das aktuell nicht gebraucht wird, sondern eher anwächst) und viele Marken. Hier sollte immer ein gewisser Restwert erlöst werden, selbst wenn Stellantis Zahlen in Zukunft deutlich nachgeben sollten.

Die These ist damit aber eher eine kurzfristige. Es ist die These, dass Stellantis gerade kaum günstiger bewertet sein könnte, die Bewertung sich über die nächsten Monate und Jahre eher normalisiert (also steigt) und diese Bewertungsänderung eine Renditequelle sein könnte - mit mehr Aufwärts- als Abwärtspotenzial.

Ich schreibe selten über solche Ansätze, verfolge primär langfristige. Hier mache ich deshalb eine Ausnahme, weil ich eine Chance sehe und die Überlegung daher spannend finde, ich aber auch aufzeigen möchte, dass es noch ein Restrisiko gibt. Ich persönlich überlege, eine kleine Position aufzubauen.

Tags: Stellantis | Aktien: Stellantis

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Ich bin Jannes, Jahrgang 1993 und Gründer von StrategyInvest. Seit 2011 investiere ich an der Börse. Damals habe ich mein VWL-Studium mit Finanzschwerpunkt erfolgreich absolviert und bin nun seit mehreren Jahren in der Digital- und Techbranche aktiv, aktuell als Product & Strategy Lead. Ich kenne daher Investieren, Technologie und Unternehmertum aus wissenschaftlicher Sicht, aber auch aus der Praxis. Die Erkenntnisse daraus teile ich hier.

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Auszug aus dem Manifest:

Regel #4: Wir legen mittel- und langfristig an.

Die Finanzwissenschaft weiß längst: Je mehr getradet und je öfter ins Depot geschaut wird, desto schlechter die Rendite. Market Timing, also Einschätzen kurzfristiger Marktbewegungen, funktioniert nicht und richtet mehr Schaden als Nutzen an.Langfristig anlegen ist erfolgversprechender und entspannter. Und: Es ist der einzige Anlagehorizont, der logisch zu einer fundamentalen Bewertung, an die sich der Aktienkurs mit der Zeit im Optimalfall annähert, passt.

zum kompletten StrategyInvest Manifest »

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