Hey,
Es bleibt spannend in der Börsenwelt. Einige der interessantesten Themen besprechen wir im neuen Round-Up. Heute erwarten dich folgende Themen:
- Amazon verkauft seine „Amazon Go“ Technologie – was bedeutet das für Amazons Geschäftsmodell?
- Das größte Missverständnis zu Netflix: Warum Netflix höhere Bruttomargen und gleichzeitig einen höheren negativen Cashflow hat
- Casper: Was steckt hinter dem frisch an die Börse gegangenen Matratzen-Unternehmen?
- Ein inspirierendes Kostolany-Zitat für die aktuelle Börsenphase
#1 – Amazon verkauft „Just Walk Out“ Technologie
Amazon hat Ende 2016 die „fortschrittlichste Shopping-Technologie der Welt“ vorgestellt und ein großes mediales Echo erhalten:
Die Vision: Einkaufen ohne Warteschlangen. Einfach einpacken und gehen.
Zu genau dieser Technologie, die Amazon nutzt, gibt es interessante Neuigkeiten. Reuters schreibt:
Amazon.com Inc. on Monday is set to announce a new business line selling the technology behind its cashier-less convenience stores to other retailers, the company told Reuters. The world’s biggest web retailer said it has “several” signed deals with customers it would not name. A new website Monday will invite others to inquire about the service, dubbed Just Walk Out technology by Amazon.
Amazon möchte die Technologie an stationäre Händler weiterverkaufen. Die Webseite dazu ist mittlerweile unter https://justwalkout.com/ erreichbar.
Wie wirkt sich diese Technologie auf die Nachfrage, den Kunden, und das Angebot, den Einzelhändler, aus?
Der Kunde hat ein besseres Einkaufserlebnis. Weniger Wartezeit und das hautnahe Erleben einer neue Technologie.
Der stationäre Händler hat ebenfalls Vorteile: Durch diese Technologie bietet er dem Kunden ein besseres Erlebnis und spart darüber hinaus potentiell Personal und teure Kassensysteme ein. Dazu sei gesagt, das nicht bekannt, wie teuer im Vergleich dazu die Amazon Go Technologie ist und ob diese schon heute die Kostenvorteile bringt.
Unterm Strich ist diese Technologie enorm vielversprechend. Welche Eigenschaften bringt der Verkauf dieser Technologie für Amazon mit sich?
Vorher war nicht klar, ob sich Amazon dazu entscheidet, (a) selbst mehr Amazon Go Läden aufzumachen (mit hohen Umsätzen und geringen Margen) oder (b) diese Technologie verkauft (mit niedrigen Umsätzen und hohen Margen). Offensichtlich hat Amazon sich primär für Variante B entschieden.
Ich erwarte deshalb, ähnlich wie Ben Thompson:
- hohe Margen bei geringeren Umsätzen als im eigenen Ladengeschäft.
- einen schnelleren Markteintritt, da Amazon verspricht bestehende Läden in wenigen Wochen mit der Technologie ausstatten zu können
- keinen Lock-In-Effekt, der Kunden an die Technologie bindet, da nur eine Kreditkarte (und damit anscheinend kein Amazon Pay) und kein Log-In dafür nötig sein wird
- Vorteile von Amazon gegenüber möglichen Konkurrenten, da Amazon schnell an Daten kommt, die das System wiederum verbessern und wiederum einen Burggraben für dieses Geschäftsmodell schaffen
Eine Integration eines Bezahldiensts wie Amazon Pay wäre aus meiner Sicht naheliegend. Womöglich wird dies noch integriert oder, um möglichen Bedenken der Einzelhändler oder der Regulierungsbehörden zu umgehen, vermieden.
In jedem Fall sieht hier alles nach einem weiteren sehr sinnvollen Schritt im Amazon-Universum aus. Es wird spannend zu beobachten, wie der Markt diese Technologie annimmt und welche Zahlen für Amazon dahinter stecken.
#2 – Warum Netflix höhere Bruttomargen und höheren Cashburn hat – und das okay ist
Apropos Zahlen.
Netflix ist eine Aktie, die immer für besonders viel Aufsehen sorgt. Nicht zuletzt die disruptive Kraft des Unternehmens ist ein Grund dafür.
Einen erste Analyse des Video-Streaming Markts habe ich hier bereits veröffentlicht. In naher Zukunft werden wir uns die Netflix-Aktie und die Zahlen hinter dem Geschäftsmodell noch genauer anschauen.
Einen interessanten Kommentar gab es im letzten Earnings Call auf die Frage, was am Unternehmen am meisten missverständen werde. Spencer Wang, Vice President of Finance and Investor Relations von Netflix, antwortete:
I think what was most misunderstood is the business model and what you see in our cash flow generally, and folks thinking that we are losing money. What we’ve shown is that we are increasing our profitability both through growth and growing our profit margins. And what you’ve seen over the last few years is forward investment as we’ve been going through a really kind of pretty significant transition of our business model from licensed content, where you pay basically ratably for content you receive over the time, and it’s on the network, to original content, not just licensed originals, but self-produced originals where oftentimes we’re investing many years before that content is on the service.
And we’ve moved, as they say, well, along the curve there were the bulk of our cash spend is now on original content. So as we’ve gotten bigger, as we’ve moved towards originals, it just fundamentally changes that cash flow profile over time. And we’re a very profitable business and one that will ultimately over the years become meaningfully self-funding.
Was steckt dahinter?
Netflix wird oft als Unternehmen bezeichnet, das Geld verliert, obwohl Netflix – so Wang – seine Profitabilität stetig steigert.
Schauen wir uns den ersten Punkt an: Ja, Netflix verliert Geld. So hat sich der Free Cashflow von Netflix in den letzten Jahren quartalsweise entwickelt:
Der zweite Punkt: Netflix steigert aber seine Profitabilität. Auch das stimmt, wenn wir uns die Entwicklung der Bruttomarge anschauen:
Seit etwa 2018 sind wohl die Bruttomargen, also die Profitabilität, deutlich gestiegen, aber das Unternehmen hat mehr Geld verloren bzw. es ist deutlich mehr Geld aus dem Unternehmen abgeflossen als vorher.
Der Grund: Netflix produziert immer mehr Content selbst. Das erfordert höhere Investitionen, erhöht aber gleichzeitig die Profitabilität, da Netflix nun die gesamte Wertschöpfungskette beansprucht.
Das ist der Grund, warum sich das Cashflow Profil von Netflix wandelt – und warum höhere Profitabilität trotz höherem negativen Cashflow hier kein Widerspruch, sondern eine Erklärung ist.
#3 – Casper: Was steckt hinter dem frisch an die Börse gegangenen Matratzen-Unternehmen?
Casper verkauft Matratzen. Sich selbst sieht Casper vor allem in der Sleep Economy und möchte damit mehr, als nur Matratzen zu verkaufen.
Der Börsengang war mit einiger Kritik begleitet, die an den damals angedachten WeWork-Börsengang erinnert hat: Das Börsenprospekt wurde durch viele schöne Worte aufgeblasen. Alexander Graf schreibt dazu:
Wo sieht Casper seine Chance und seinen USP? Steht direkt am Anfang des Prospektes und ist generischer Quatsch.
Am 6. Februar 2020 ist Casper an die Börse gegangen. Seitdem hat die Aktie etwa 2/3 ihres Wertes – zum Großteil wegen der Coronakrise – eingebüßt.
Was ist, neben den Parallelen beim Börsengang zu WeWork, das Interessante am Unternehmen?
Punkt 1: Es hat den Direct-to-Consumer (D2C) Trend mit geprägt. Das sind Marken, die direkt mit dem Endverbraucher kommunizieren und an diesen verkaufen.
Gerade im Matratzengeschäft war es üblich, dass ein Hersteller eine Matratze in einem stationären Geschäft bei einem Händler platziert.
Punkt 2: Die Matratzen werden ausschließlich online verkauft. Selbst ein Produkt, das eher unhandlich ist, wird nun online verkauft.
Punkt 3: „100 Tage Probeschlafen“ als Marketing-Claim. Um Käufern die Angst zu nehmen, dass die Matratze nicht gefällt, kann sie 100 Tage lang kostenlos abgeholt werden.
Punkt 4: Ein disruptiver Ansatz. Statt 15 unterschiedliche Matratzen – anderer Härtegrad, anderes Material, andere Größen – zu verkaufen, konzentriert Casper sich auf ein „one size fits all“ Modell.
Casper hat damit viel Bewegung in den sicher geglaubten Matratzenmarkt gebracht und ist daher ein spannendes Unternehmen.
Das macht es aber nicht automatisch zu einer interessanten Aktie.
Das Problem: Es gibt viele Nachahmer. Das Konzept wurde gefühlt 1:1 von vielen Nachahmern und Marktbegleitern adaptiert: Casper, Emma, bett1 und viele weitere bieten im Grunde das gleiche Produkt.
Diese Konkurrenz ist nicht die einzige Herausforderung. Die Kunden kaufen nicht alle paar Monate eine Matratze, sondern eher im Zyklus mehrerer Jahre. Casper muss den Kunden dann jedes Mal wieder durch Werbung einkaufen.
Der Schritt in die „Sleep Economy“ könnte dabei tatsächlich naheliegend sein, um dauerhaft Kunden binden zu können.
Alexander Graf kommt – wohlgemerkt vor dem Börsengang und zu einer deutlich höheren Bewertung – zu dem Urteil:
Fazit: Die Story von Casper geht nach vorne leider nicht auf. Es gibt keine Skaleneffekte bei dem Geschäft, die auf bessere Zeiten hoffen lassen und die letzte Bewertung von über 1 Mrd. Dollar durch das Target Investment rechtfertigen würden.
Also, halten wir vorab fest: Durch den Kurssturz der letzten Wochen könnte Casper mittlerweile, bei einem Börsenwert von 170 Mio. Euro, fair bewertet sein. Es ist ein interessantes Unternehmen und eine interessante Geschichte, aber ein schwieriges Geschäftsmodell.
#4 – Ein wichtiges Kostolany-Zitat
Abschließend solltest du dir folgendes Zitat in Erinnerung rufen:
„Wer die Aktien nicht hat, wenn sie fallen, der hat sie auch nicht, wenn sie steigen.“ – André Kostolany
Rationale Grüße
Jannes