von Jannes Lorenzen

Gründer, Strategie-Lead & Investor

veröffentlicht: 31. Januar 2021

Versicherungen sind durch langfristige Verträge sowie wiederkehrende und konjunkturunabhängige Erlöse ein beliebtes Geschäftsmodell.

Aber bei Kunden sind sie oft unbeliebt: Intransparenz, umständliche und langwierige Schadensmeldungen und langwierige Anmeldeprozesse sind einige der Schwierigkeiten.

Nun gibt es Anbieter, die Abhilfe schaffen. Mit schlankeren Prozessen, Nutzerfreundlichkeit und sogar einer eingebauten Spendenlogik, die Zielkonflikte vermeiden soll. Lemonade ist einer der führenden Anbieter in diesem Segment.

Lemonade wurde erst 2015 gegründet und wird heute schon als Herausforderer der etwas eingestaubten Versicherungsbranche gesehen. 2020 ist Lemonade folgerichtig an die Börse gegangen und wird dort heute mit 8 Mrd. US-Dollar bewertet.

Ein kleiner Wert im Vergleich zu den 5 Bio. US-Dollar, die in der riesigen Versicherungsbranche weltweit jährlich umgesetzt werden. Aber viel im Vergleich zum eigenen Umsatz, der erst 100 Mio. US-Dollar beträgt - wobei dieser sich zuletzt auf Jahresbasis verdreifacht hat.

Ist Lemonade also die spannendste Chance im Versicherungsmarkt - oder eine zu teure Wette mit hohem Risiko? Und was macht Lemonade genau anders als traditionelle Versicherer?

Ich schaue hier auf diese Fragen und versuche herauszufinden, ob sich eine Investition aktuell lohnen könnte. Außerdem erfährst du in dieser Analyse:

  • Überblick: Was hinter Lemonade steckt und wie die Aktie analysiert werden sollte
  • Wie steht das Unternehmen wirtschaftlich aktuell da, wie wird Geld verdient und was sind die wichtigsten Mechanismen des Geschäftsmodells?
  • Blick in die Zukunft: Wie stark ist der Burggraben zur Konkurrenz, welche Trends zeichnen sich im Markt ab und wie sieht die eigene Strategie aus?
  • Stärken, Schwächen, Chancen & Risiken eingeschätzt und gegenübergestellt
  • Abschließende Bewertung inkl. Scorecard und konkreter Renditeerwartung: Ist die Lemonade Aktie aktuell kaufenswert?

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1. Überblick: Das steckt hinter dem Unternehmen

Überblick

Das Unternehmen

Lemonade wurde 2015 in den USA gegründet und ist seit 2019 auch in Deutschland auf dem Markt. 2020 ging's an die Börse. Daniel Schreiber, der vorher schon führende Rollen bei anderen Tech-Unternehmen hatte, ist seit 2015 der CEO. Heute hat Lemonade knapp 1 Mio. Kunden.

Lemonade ist selbst kein rein gewinnorientiertes Unternehmen, sondern:

[...] eine Public Benefit Corporation und B-Corp zertifiziert. Soziales Engagement ist Teil unserer rechtlichen Vorgaben sowie unseres Geschäftsmodells - und kein leeres Versprechen.

Produkt & Geschäftsmodell

Was unterscheidet Lemonade nun von herkömmlichen Versicherungen?

Lemonade will vor allem eine kundenfreundlichere Lösung bieten: Transparenter, schneller, einfacher zu nutzen und günstiger.

Unsere Mission: Wir verwandeln Versicherungen von einem notwendigen Übel in einen gesellschaftlichen Mehrwert.

Lemonade selbst beschreibt den eigenen Prozess so (inkl. 3 Schritte):

Lemonade stellt das traditionelle Versicherungsmodell auf den Kopf. Wir behandeln die Beiträge, die du zahlst, als ob es dein Geld ist – nicht unseres. Mit Lemonade wird alles einfach und transparent: Wir nehmen einen fixen Anteil, bezahlen Schadensfälle super schnell und spenden den Restbetrag an einen wohltätigen Zweck deiner Wahl!*

Also ein spannendes Prinzip - bei dem natürlich auch spannend ist, woher das Geld für die Aktionäre kommt, wenn der Restbetrag gespendet wird. Das schauen wir uns gleich an.

Aktienkurs

Seit dem IPO 2020 hat sich der Aktienkurs stark entwickelt und vervielfacht:

Chance

Die Chance besteht heute darin, in einer frühen Phase in einen möglichen Marktführer der Versicherungen in Zukunft beteiligt zu sein.

Phase & entscheidende Fragen

Ich sehe Lemonade am Ende von Phase 1: Hohes Wachstum und noch hohe Verluste. Das Produkt wird angenommen, muss jetzt aber in bessere Kennzahlen gewandelt werden.

Schauen wir uns nun an, was hinter diesen Zahlen steckt.

2. Business Breakdown: Geschäftsmodell analysiert

Business Breakdown

Schauen wir uns einmal an, wie das Geschäftsmodell aussieht.

Unternehmensentwicklung

Lemonade hat ein starkes Umsatzwachstum, welches sich auf hohem Niveau etwas verlangsamt:

Quelle: thomvest

Wie verdient Lemonade Geld?

Versicherungen erhalten in der Regel einen monatlichen oder jährlichen Betrag, der dann bestimmte Schadensfälle versichert. Die von vielen eingezahlten Beträge werden dann verwendet, um (a) die Kosten der Versicherung selbst zu decken, (b) die auftretenden Schadensfälle zu decken und (c) im Optimalfall einen Überschuss für den Versicherer zu erwirtschaften.

Eine Versicherung hat also ein Interesse an möglichst hohen Beträgen (= Umsatz). Das ist allerdings oft schwierig, da heute eine hohe Vergleichbarkeit herrscht. Deshalb sehen wir jetzt auch, dass neue Faktoren an Bedeutung gewinnen - wie einige, die wir gleich bei Lemonade sehen.

"Written Premium"

Bei Versicherungen wird oft im englischen von "written premium" gesprochen. Das ist vereinfacht gesagt der Umsatz, den ein Versicherungsunternehmen durch Beitragszahlungen einnimmt.

Auf der anderen Seite steht die Kostenseite. Wenn eine Versicherung zu viel ausschüttet, da notorische Betrüger aufgenommen und nicht erkannt werden oder vor allem Kunden angezogen werden, die eine hohe Schadensquote haben, ohne dafür höhere Beträge einzunehmen, wird eine Versicherung Nachteile haben.

Bei Lemonade lag die angepasste Bruttomarge zuletzt (Q3 2020) bei ca. 29%. Das bedeutet: Wenn Lemonade 100 Euro einnimmt, werden etwa 80 Euro für Schadensfälle, Rückversicherungen und direkte Kosten (bspw. Zahlungsabwicklung) gezahlt und 29 Euro bleiben für Lemonade.

Die Rolle der Rückversicherer

Außerdem gibt es nicht nur Versicherungen, sondern auch Rückversicherer wie bspw. die Münchener Rück. Was machen diese Rückversicherer?

Sie versichern die Schadenssummen, die bei normalen Versicherern auftreten. Das hilft letzteren größere Schadenssummen, bspw. bei Naturkatastrophen, abzufedern und mehr Planbarkeit zu bekommen. Für so eine Rückversicherung zahlt der Versicherer, hier also Lemonade, einen Betrag.

Deep Dive: Mechanismen des Geschäftsmodells

Lemonade möchte kundenfreundlich, schnell, günstig und fair sein. Das verdeutlicht auch der Prozess bei einer Schadensmeldung:

Wo sind also die Unterschiede zu herkömmlichen Versicherungen:

  • Schnellere Behandlung der Schadensfälle
  • Intuitive und angenehme Nutzeroberfläche
  • Weniger Interessenskonflikt, da Überschüsse gespendet werden

Ein weiterer Faktor ist die Nutzung von künstlichen Intelligenzen in der Betrugsbekämpfung. Das ist mehr als sinnvoll, vermutlich aber kein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Versicherungen, die dazu schon deutlich mehr Daten haben.

Spenden

Aber wie läuft's mit den Spenden? Das wird hier konkretisiert:

Wir spenden das nicht in Anspruch genommene Geld (bis zu 40%!) an den guten Zweck, den du ausgesucht hast.

Also: Lemonade nimmt einen fixen Betrag zur Deckung der Kosten. Überschüssiges Geld wird zu bis zu 40% an einen guten Zweck gespendet.

In meinen Augen ist das ein sehr sinnvolles Produkt aus Kundensicht.

Aus Anlegersicht klingen 40%, die erstmal vom Gewinn weggehen, nicht so attraktiv. Auf der anderen Seite ist genau das einer der größten Hebel, der überhaupt das Wachstum von Lemonade so befeuert.

Factsheet

Factsheet

Alle Zahlen, sofern nicht anders angegeben, in der jeweiligen Heimatwährung und TTM (= letzte 12 Monate). Zusatz 'e' = erwartet.

Die Eckdaten

  • Land: USA
  • Branche: Versicherung
  • Marktkapitalisierung: 8 Mrd. USD
  • Umsatz: 0,1 Mrd. USD
  • Gewinn: -0,12 Mrd. USD
  • Free Cashflow: -0,1 Mrd. USD

Bewertung

  • KUV: 83

Qualität & Wachstum

  • Bruttomarge: 29 %
  • Nettomarge: -120 %
  • Umsatzwachstum (letzte 3 Jahre): ca. 200 % p.a.

Zusammenfassung

Lemonade bietet ein Produkt, das vor allem digital-affine Nutzer anzieht. Es ist praktischer und schneller als die eingestaubte Konkurrenz. Das prinzipielle Geschäftsmodell ist das gleiche wie bei anderen Versicherungen, allerdings spendet Lemonade einen Teil der Überschüsse.

3. Zukunft: Burggraben, Strategie & Wachstumsperspektiven

Zukunft

Bevor wir gleich in die SWOT-Analyse gehen, schauen wir in die Zukunft. Wie sieht die Strategie aus? Wie ist die Konkurrenzsituation und der eigene Burggraben gegenüber der Konkurrenz? Welche Wachstumsperspektiven gibt es?

Produkt

Lemonade hat ein sehr gutes Produkt und investiert heute voll in Wachstum. Auf jeden erzielten Euro an Umsatz erzielt Lemonade heute einen Verlust von 1,20 Euro bzw. einen negativen Free Cashflow von 0,90 Euro. Dass jetzt noch ein Verlust besteht ist nicht verwunderlich und in einer solchen Phase ziemlich normal. Nach der Rule of 40, die ein Gradmesser für Kapitaleffizienz darstellt, war hier zuletzt nicht erfüllt.

Chance

Ist der Markt groß genug und hat Lemonade genug Wachstumsperspektiven? Definitiv. Der Markt wird weltweit auf fünf Billionen US-Dollar geschätzt.

Burggraben & Konkurrenz

Aber wie stark ist der Burggraben und wie stark ist die Konkurrenz?

Als Konkurrenz sehe ich andere Anbieter, die ein sehr ähnliches Prinzip verfolgen (bspw. GetSafe, Coya oder WeFox in Deutschland), sowie etablierte Versicherer wie die Allianz.

Ich sehe keinen großen Burggraben, den Lemonade vor diesen hat. Gehen wir größten Stärken, die Lemonade immer wieder nennt, kurz durch:

  • Initiale und schnelle Anmeldung per Chatbot: Lässt sich ziemlich schnell nachbauen.
  • Auswertung der Schadensfälle durch KI: Machen auch andere Versicherer heute schon, die zudem deutlich größere Datenmengen besitzen. In der Abwicklungsgeschwindigkeit können andere Versicherer in meinen Augen auch schnell aufholen.
  • Spenden: Das ist tatsächlich ein Faktor, der in meinen Augen schwer authentisch nachzubilden ist für andere Versicherer - außer, diese sind günstiger, da sie sich die Spenden sparen.

Im Interview mit dem Handelsblatt sagt der CEO auf die Frage "Was kann Lemonade bieten, was andere nicht können?":

Ich rede nicht über andere Wettbewerber, aber wir bieten einen puren Digitalversicherer. Wir haben einen Chatbot namens Maya, der den Kunden bei der Gestaltung einer Police hilft – es reicht, ein paar Fragen zu beantworten, und in etwa 90 Sekunden kann ein Vertrag abgeschlossen werden. Auch bei der Schadensabwicklung geht es genauso schnell. Die Kunden beantworten ein paar Fragen in einem Chat und erklären per App in eine Kamera, was passiert ist. Bei einem Drittel dieser Meldungen geht es dann vollautomatisch, und schon in wenigen Sekunden kann der Schaden beglichen werden. Natürlich haben wir im Fall der Fälle auch ein engagiertes Team, mit dem die Kunden in Kontakt treten können.

Das klingt für mich noch nicht nach einem starken Burggraben.

Ich glaube also definitiv, dass Lemonade vieles gut und sogar hervorragend macht. Ich glaube auch, dass Lemonade die Versicherungsbranche gewissermaßen revolutioniert hat und es noch tun wird. Ich sehe aber noch nicht den großen Burggraben, der das erhoffte - und im riesigen Versicherungsmarkt durchaus mögliche - Wachstum garantieren würde.

Zusammenfassung

Lemonade hat ein starkes Produkt mit noch mittelmäßigen Zahlen, die Chancen auf einen riesigen Markt und einen leider nur überschaubaren Burggraben.

4. SWOT-Analyse: Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken analysiert

SWOT-Analyse

Bewerten wir nun das Geschäftsmodell und schauen auf die Stärken, Schwächen, Chancen und Bedrohungen.

Stärken

Beginnen wir mit den Stärken. Was zeichnet das Unternehmen aktuell aus?

Zeitloses & nicht-zyklisches Geschäftsmodell

Versicherungen sind zeitlos. Wir haben sie in den letzten Jahrzehnten gebraucht und werden sie auch in Zukunft weiterhin brauchen. Sie sind darüber hinaus wenig von wirtschaftlichen Krisen abhängig.

Wiederkehrende Umsätze mit Lock-In

Lemonade kassiert als Versicherung regelmäßig wiederkehrende Umsätze. Außerdem gibt es einen gewissen Lock-In Effekt, da es sicherlich angenehmere Dinge gibt als Versicherungen zu wechseln.

Aber: Hier gibt es ein paar Einschränkungen, die wir gleich bei den Schwächen sehen.

Hervorragendes Produkt aus Nutzersicht

Das Produkt ist enorm beliebt und bietet viele Vorteile zu herkömmlichen Lösungen. Das fördert das Kundenwachstum und hält Kunden in der Versicherung.

Unternehmenskultur & CEO

Auf der Plattform Glassdoor, wo Angestellte Unternehmen bewerten, schneiden Lemonade und CEO Daniel Schreiber hervorragend ab:

Nicht nur die Zufriedenheit, sondern auch die dahinterstehende Kultur herrscht so sicherlich nicht bei traditionellen Versicherungsunternehmen und ist schwer zu kopieren.

Schwächen

Wo Licht ist, ist meist auch Schatten. Schauen wir auf die Schwachstellen des Unternehmens.

Kein starker Burggraben

Ich sehe keinen großen Burggraben bei Lemonade. Die Gründe dafür habe ich schon ausführlicher dargelegt. Das eröffnet das Risiko, dass auch andere Konkurrenten mit ähnlichem Geschäftsmodell oder solche, die noch ein anderes Geschäftsmodell haben, hier eine noch stärkere Konkurrenz darstellen können.

Hoher Cash-Burn

100 Mio. US-Dollar Umsatz und 120 Mio. US-Dollar Verlust: Lemonade verbrennt recht viel Geld. Es ist normal und auch noch okay, aber natürlich ein Risiko. Wie stark wächst das Unternehmen dann, wenn die großen Investitionen zurückgefahren werden?

Schlechtere Retention Rate

Lemonade hat wiederkehrende Umsätze. Das ist vor allem attraktiv, da Kunden nicht immer neu eingekauft werden müssen und diesen weitere Produkte (siehe "Chancen") angeboten werden können.

Aber: Während einige SaaS-Unternehmen wie Adobe, Shopify oder Salesforce Retention-Raten von >95% haben, liegt Lemonade hier deutlich niedriger und vermutlich auch etwas niedriger als die Konkurrenz.

Von 100 Lemonade-Kunden haben zuletzt 25 selbst gekündigt und 13 wurden von Lemonade gekündigt (bspw. aufgrund möglichen Betrugs). Nach zwei Jahren bleiben dann nur 44 von 100 Kunden.

Perspektivisch sollte sich diese Quote in den Bestandskunden durch weitere Erfahrungen zumindest verbessern. Das schwächt den positiven Effekt wiederkehrender Umsätze Stand heute trotzdem ab.

Chancen

Wo liegen die Chancen für das Unternehmen, um zu wachsen und den Unternehmenswert zu steigern?

Riesiger Markt

Der Markt für Versicherungen wird weltweit auf 5 Bio. US-Dollar geschätzt. Ein Unternehmen, das 1% dieses Marktes einnimmt, würde also 50 Mrd. US-Dollar an jährlichem Umsatz erzielen.

Mögliches Akquisitionsziel

Lemonade könnte ein Ziel sein für etablierte Versicherer: Diese könnten ein Interesse haben Lemonade direkt zu kaufen, statt selbst ein solches Geschäftsmodell komplett neu aufzubauen. Das nötige Kleingeld (Lemonade ist aktuell 8 Mrd. US-Dollar wert) sollten die traditionellen Versicherer haben.

Weitere Produkte

Lemonade möchte die Produktpalette erweitern, was zusätzliches Wachstumspotenzial, gerade auch bei bestehenden Kunden, bietet.

Im Handelsblatt-Interview sagte der CEO 2019:

Wir wollen nicht nur geografisch wachsen, sondern auch im Produktangebot. Es gibt zwar keine konkreten Pläne, aber am Ende wollen wir alle Wünsche unserer Kunden in diesem Segment erfüllen – und davon sind wir derzeit noch entfernt.

Bedrohungen

Es gibt bei jedem Unternehmen Risiken wie eine schwächelnde Wirtschaft, operative Fehlentscheidungen, politische Eingriffe und andere. Jetzt analysieren wir aber: Was könnte speziell das hier gezeigte Geschäftsmodell gefährden oder das Wachstum hemmen?

Konkurrenz durch ähnliche Angebote

GetSafe, Coya oder WeFox sind Anbieter, die man aus Deutschland kennt. Auch in den USA mehren sich logischerweise Angebote, die ein gleiches Prinzip wie Lemonade verfolgen. Hier sehe ich zwei Risiken:

  1. Ein anderes Unternehmen gewinnt den Markt. Hier liegt Lemonade heute aber vermutlich vorn.
  2. Es gibt lokale Gewinner in den Märkten. Das würde bedeuten, dass Lemonade vor allem in den USA gut abschneidet, es aber in anderen Märkten (bspw. Deutschland) schwer haben wird.

Gerade das zweite Risiko sehe ich stark. Internationale Expansion kann gerade bei Versicherungen regulatorische Hürden haben. Auch das Vertrauen kann zu einem Anbieter aus dem Ausland geringer sein.

Konkurrenz durch große Versicherungen

In den meisten Ländern sind große Versicherungen am weitesten verbreitet. Dabei gibt es durchaus große und schlagkräftige Unternehmen (mit den jährlichen Beitragseinnahmen):

  • #1 UnitedHealth (USA): 178 Mrd. USD
  • #2 AXA (Frankreich): 103 Mrd. USD
  • #3 und #4 Chinesische Versicherer
  • ... #7 Allianz (Deutschland): 83 Mrd. USD
  • ... #25 Health Care Service Corporation (USA): 38 Mrd. USD

Gerade die größten Unternehmen erzielen Gewinne im einstelligen Milliardenbereich.

Steigende Kosten für Finanzierungen

Ein kleines, aber nennenswertes Risiko: Lemonade ist auf Kapital zum Wachstum angewiesen. Sollten Finanzierungen, v.a. durch ein steigendes Zinsniveau, teurer werden, könnte das direkt die Kostenseite erhöhen.

5. Aktienbewertung: Der faire Wert der Aktie

Bewertung

Wir haben uns jetzt ein umfangreiches Bild des Unternehmens verschafft. Schauen wir abschließend auf die Aktie, bringen Qualität und Bewertung zusammen und ziehen ein Fazit.

Der faire Wert der Aktie

Ich sehe drei Szenarien:

  • Pessimistisch: Lemonade wächst weiter, durch zunehmende Konkurrenz und regulatorische Hürden bei der Expansion wird das Wachstum aber verlangsamt. Die Margen erreichen maximal durchschnittliches Niveau der Versicherer.
  • Erwartet: Das hohe Wachstum geht weiter und im Branchenvergleich überdurchschnittliche Nettomarge können erzielt werden.
  • Optimistisch: Lemonade wächst enorm stark und wird gemessen an der Marge der profitabelste Versicherer.

Für die Ermittlung des fairen Werts habe ich folgende Annahmen über einen Zeithorizont von 10 Jahren getroffen:

#1 Umsatzwachstum

Lemonade hat zuletzt auf 2019 den eigenen Umsatz verdreifacht. Analysten erwarten knapp 100 Mio. $ Umsatz für 2020, was knapp +50% entspricht. Die Analysten erwarten für die kommenden Jahre knapp +60%.

Ich gehe daher davon aus, dass das Umsatzwachstum kurzfristig bei 60% liegt und sich dann schrittweise dem langfristigen Umsatzwachstum annähert.

Ich nehme an, dass das Umsatzwachstum sich langfristig (> 10 Jahre) bei 14% p.a. einpendelt. Es entstünde dadurch ein jährlicher Umsatz von 2,6 Mrd. USD.

#2 Nettomarge

Die Bruttomarge von Lemonade liegt heute bei 29%, in den letzten Jahren bei 19%.

Zum Vergleich die Margen großer Versicherer:

  • Allianz: Nettomarge von 7%
  • UnitedHealth: Nettomarge von 5%
  • AXA: Nettomarge von 3%

Ich sehe nicht die Gründe, aus denen Lemonade völlig andere Margen erzielen kann. Durch den rein digitalen Prozess können sicherlich einige Kosten eingespart werden, das Geschäftsmodell ist sonst prinzipiell das gleiche.  Die Spendenlogik wird zudem die Nettomarge tendenziell drücken. Dazu werden Konkurrenten voraussichtlich ebenfalls in den Kostenersparnissen nachziehen, was wiederum Preise und damit auch Margen etwas drücken kann.

Ich nehme daher auf Sicht von 10 Jahren eine Nettomarge von 10% an.

#3 Bewertungsniveau

Das Bewertungsniveau ist nicht einfach abzuschätzen. Ich gehe davon aus, dass die Aktie - basierend auf den anderen Annahmen - noch mit einem überdurchschnittlichen KGV von 30 bewertet sein würde, da es unter den Versicherungen stärker wachsen würde und etwas höhere Margen erzielt.

Meine Renditeerwartung in fünf Szenarien

Ich erwarte basierend auf diesen Annahmen langfristig eine jährliche Rendite von -1%, also ein leichter Wertverlust. Bei etwas optimistischeren Annahmen wird die Rendite attraktiver.

Wie sehen die abschätzbaren Ränder nach oben und nach unten aus?

  • Im sehr pessimistischen Szenario: - 20 % p.a.
  • Im sehr optimistischen Szenario: + 15 % p.a.

Die große Spanne zeigt ein höheres Risiko und ist in meinen Augen leicht negativ verzerrt.

Gedanken zur Bewertung

Lemonade ist zu einer Bewertung von ca. 1,5 Mrd. US-Dollar Mitte 2020 an die Börse gegangen. Etwa ein halbes Jahr später ist Lemonade 8 Mrd. US-Dollar wert.

Beim Börsengang wird generell ein höchstmöglicher Preis für die bestehenden Anteilseigner anvisiert. Dafür gehen diese mit Großbanken in die Preisfindung. Das heißt: Sehr gut informierte Investoren haben den Wert bei 1,5 Mrd. US-Dollar gesehen.

Ein halbes Jahr später gab es in meinen Augen keine Ereignisse, die einen besonderen Aufschwung im Geschäft rechtfertigen würden. Trotzdem hat die Aktie sich seitdem etwa verfünffacht.

Natürlich kann es sein, dass die bestehenden Investoren (u.a. Softbank) und Großbanken eine massive Fehleinschätzung hatten. Mich macht dieser große Unterschied aber etwas skeptisch.

Dazu kommt: Viele Begriffe, die die Börse gern sieht, sind auch im Börsenprospekt vielfach vorhanden, auch wenn ich in "Data" und "AI" wie beschrieben nicht den großen Burggraben sehe:

Die Scorecard

Wachstumsunternehmen sind basierend auf den Fundamentaldaten tendenziell etwas schlechter bewertet (was ich in zukünftigen Scorecards stärker korrigieren möchte), aber Lemonade schneidet unterm Strich trotzdem eher schlecht ab.

Mein Fazit inkl. Pro & Contra: Aktie jetzt kaufen?

Fazit

Pro

  • Gemeinnützigkeit als Ergänzung zu wirtschaftlicher Profitabilität
  • Gutes und beliebtes Produkt
  • Zeitloses Geschäftsmodell
  • Riesiger potenzieller Markt
  • Mögliches M&A Ziel von großen Versicherungen

Contra

  • Enorm hohes Bewertungsniveau mit KUV von ca. 90
  • Profitabilität von mir niedriger erwartet als in anderen Branchen mit ähnlichem Bewertungsniveau
  • Hoher Cash-Burn
  • Kein unüberwindbarer Burggraben

Fazit

Aus Kundensicht finde ich Lemonade spannend. Auch das eingebaute Spendenprinzip möglicher Überschüsse finde ich sympathisch.


Aber: Trotz des riesigen Marktes ist mir die Bewertung heute zu hoch - und dafür ist mir der Burggraben und die in Aussicht stehende Profitabilität zu gering. Dazu kommen weiche Faktoren, wie der IPO Mitte 2020 zu einer deutlich niedrigeren Bewertung.


Ich werde das Unternehmen und die Aktie gespannt weiter beobachten, aber aktuell nicht als Aktionär.

Tags:  | Aktien:

Disclaimer: Die Inhalte stellen keine Anlageberatung, Kauf- oder Verkaufsempfehlungen dar, sondern spiegeln nur meine persönliche Meinung wider. Jede Investition ist mit Risiken verbunden, die du selbst prüfen musst. Es gibt keine Garantien. Ich kann selbst in besprochene Aktien investiert sein. * Bei Partnerlinks erhalte ich ggf. eine Provision.

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Ich bin Jannes, Jahrgang 1993 und Gründer von StrategyInvest. Seit 2011 investiere ich an der Börse. Damals habe ich mein VWL-Studium mit Finanzschwerpunkt erfolgreich absolviert und bin nun seit mehreren Jahren in der Digital- und Techbranche aktiv, aktuell als Product & Strategy Lead. Ich kenne daher Investieren, Technologie und Unternehmertum aus wissenschaftlicher Sicht, aber auch aus der Praxis. Die Erkenntnisse daraus teile ich hier.

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Auszug aus dem Manifest:

Regel #18: Wir sind nicht nur Aktionäre.

Die Geldanlage soll unser Leben bereichern, nicht einschränken. Wir müssen nicht täglich unser Depot checken oder darüber spekulieren, ob der Markt jetzt steigt, fällt oder stagniert. Die Geldanlage ist nicht unser Leben, sondern nur ein bereichernder Teil davon.

zum kompletten StrategyInvest Manifest »

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