von Jannes Lorenzen

Gründer, Strategie-Lead & Investor

veröffentlicht: 12. Januar 2023

2023 setzen die meisten Tech-Beobachter, Investoren und Gründer auf ein Thema: Künstliche Intelligenz.

Während es auch bei Themen wie Blockchain, Web3.0 & Metaverse noch viele Skeptiker gibt, höre ich aktuell durchweg von Experten viel Optimismus beim Thema KI - und viele große Unternehmen wollen das nach vorne bringen, sich dafür selbst gut positionieren.

Die Frage ist: Ist das tatsächlich so? Was musst du wissen, wenn du davon profitieren möchtest? Welche Unternehmen sind die Profiteure von diesem Trend - und, das sei vorweg gesagt, hier gibt’s durchaus einige Dinge, die nicht intuitiv sind - und welche werden ihr Geschäftsmodell verlieren?

Es gibt außerdem eine Untersuchung, die zeigt, dass nur 20% der KI-Modelle von ihren Parametern abhängen, 80% aber etwas ganz anders sind. Und das kann bedeutende Auswirkungen haben.

Der Durchbruch für KI

OpenAI vor vor einigen Wochen das Chat-Tool ChatGPT gelauncht. In wenigen Tagen hatte es über 1 Mio. Nutzer, die verblüfft davon waren, wie gut das Tool Anfragen beantworten kann. Ich habe selbst ein Video dazu gemacht.

Dazu kamen andere KI-Tools, die nun schnell auf den Markt kommen und in der Praxis genutzt werden: Automatisch Hintergründe von Bildern entfernen, persönliche Avatare erstellen, Bilder aus reiner Texteingabe erstellen, Texte vorschreiben (diesen noch nicht 😉) und vieles mehr.

Auch alle großen Tech-Konzerne sprechen über AI (= Artificial Intelligence), teilweise schon seit Jahren. Die Venture Capital Szene, die Start Ups finanziert, spricht aktuell über wenig anderes.

Das zeigt: Wir sind wohl an einem Punkt, wo KI tatsächlich in der Breite ankommt.

Viele weitere Anwendungsfälle sind denkbar oder beruhen schon heute auf KI:

  • Krankheiten in medizinischen Scans erkennen
  • Große Datensätze auswerten und Muster feststellen
  • Bilder, Audio und Texte erstellen und in das jeweils andere Format umwandeln
  • Empfehlungsmechanismen
  • Deep Fakes und Real-Time-Videobearbeitung (bspw. Filter auf TikTok)
  • Autonomes Fahren
  • Cybersecurity
  • Metaverse (Augmented & Virtual Reality)
  • und vieles mehr

Der neue, alte Trend

Der berühmte Hype Cycle visualisiert ein Phänomen neuer Technologien: Erst gibt es viel Hoffnung, die enttäuscht wird. Es braucht dann ein paar Jahre, bis sich tatsächlich der Nutzen einer Technologie zeigt. Das Thema KI ist nicht neu, erhält aber definitiv neuen Schwung. Womöglich stehen wir jetzt also vor dem zweiten Aufschwung im Hype Cycle.

Das Paradebeispiel dafür ist das Internet. Von 1999 bis 2001 wurden Internet-Unternehmen immer höher bewertet, ehe danach die Ernüchterung folgte. Internetunternehmen galten als unprofitabel und überschätzt. Erst ab 2010 begann sich diese Einstellung wieder zu drehen.

Aber: Der Hype Cycle ist eine wunderbare Visualisierung solcher Phänomene, aber keine exakte Wissenschaft oder ein linearer Prozess, der jedes Mal strikt eingehalten wird.

Gehen wir auf dem Zeitstrahl etwas nach hinten. Schon 2008 haben die Google-Gründer im Brief an die Aktionäre die Rolle von künstlicher Intelligenz betont.

Perfect search requires human-level artificial intelligence which many of us believe is still quite distant. However, I think it will soon be possible to have a search engine that “understands” more of the queries and documents than we do today.

Forbes hat 2018 beschrieben, wie Amazon sich um künstliche Intelligenz aufbaut - inklusive Beispielen wie dem Alexa-Sprachassistenten oder kamerabasierter Abrechnung in Supermärkten.

Microsoft war da in Vergangenheit zurückhaltender, schreibt aber im Brief an die Aktionäre 2021:

Artificial intelligence (“AI”) capabilities are rapidly advancing, fueled by data and knowledge of the world.

Auch Meta erhöht die Investments signifikant. Nvidia positioniert sich als Chiplieferant für die Welt künstlicher Intelligenzen.

Wir sehen: Die Welt investiert in künstliche Intelligenz. Nicht erst seit heute, aber jetzt werden Fortschritte der ganzen Welt nochmal wirklich sichtbar.

Das könnte daran liegen, dass einige Voraussetzungen jetzt zusammenkommen:

  • Massiv gestiegene Rechenleistung
  • Für künstliche Intelligenz optimierte Computerchips
  • Cloud Computing macht Rechenleistung skalierbar verfügbar
  • Viele verfügbare Daten

Wir sehen also: KI erlebt gerade einen Durchbruch, ist nicht nur heiße Luft und könnte einen neuen Megatrend an der Börse darstellen. Schauen wir einmal zurück, sehen wir aber, dass das an der Börse nicht immer positiv ist.

Die Gefahr von Megatrends

Megatrends klingen nach garantierten Überrenditen. Das ist aber nicht immer so.

Die Trends sind nicht unbemerkt vom Rest der Welt, entsprechend sind Wachstumsfantasien daraus auch immer zu einem gewissen Teil bereits eingepreist. In einigen Fällen zu stark, in anderen Fällen zu schwach.

Bisher wenig realwirtschaftliche Anwendung oder Rendite:

  • 3D-Druck
  • Metaverse
  • Blockchain & Web3.0

Andere haben sich etabliert, bisher aber keine überdurchschnittliche Renditen an der Börse geliefert und oft auch noch nicht die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen stark erhöht:

  • das Internet in den Jahren 1999 bis 2001 in der Dotcom-Blase, das kurzfristig zu hohe Erwartungen und die falschen Gewinner auserkoren hatte
  • Cybersecurity wird zwar immer bedeutender und halte ich für vielversprechend, ein ETF wie L&G Cyber Security liegt aber seit 2016 renditeseitig unter dem MSCI World
  • Sprachassistenten, denen prophezeit wurde, ganze Geschäftsmodelle wie die Google Suche abzulösen

Andere Technologien waren tatsächlich neu, haben die Welt verändert und dauerhaft zu größeren Renditen geführt:

  • das Internet nach 2001 (und damit verbundene Geschäftsmodelle wie E-Commerce)
  • das Smartphone, mit dem Apple und andere die bisherige Welt von Nokia, Motorola, BlackBerry und weiteren abgelöst hat
  • Cloud Computing, das gerade Amazon und Microsofts Börsenwert beflügelt hat aber auch viele andere, wertvolle Software-Unternehmen hervorgebracht hat

Niemand weiß, wohin wir uns bei der KI bewegen. Genau das möchte ich hier besser verstehen.

Buzzwords & Black-Boxes

Ein weiteres Problem an Megatrends ist der Opportunismus einiger Aktienunternehmen. Diese versuchen sich dann gezielt so zu positionieren, dass Anleger glauben, sie würden wirklich auf einem Megatrend beruhen.

Ein Paradebeispiel ist das abgestürzte WeWork. Als es an die Börse gehen wollte, hat es einen Börsenprospekt veröffentlicht und sich immer und immer wieder als Technologie-Unternehmen beschrieben. So eine Story erhöht die Bewertung. Fakt ist: WeWork mietet Immobilien und vermietet diese als flexibel buchbare Arbeitsplätze. Sicherlich wird Technologie dabei eine Rolle spielen, aber es ist eher ein Arbitrage-Modell zwischen Mietkosten und Vermieterlösen als dass es an die Wirtschaftlichkeit von Tech-Unternehmen herankommt.

So schreiben sich auch jetzt viele Unternehmen KI auf die Fahne. Das macht es schwierig zwischen tatsächlichem Nutzen und Buzzword-Bingo zu unterschieden.

Dazu kommt, dass KI selbst, auch im Vergleich zu anderen Trends, eine Black Box ist. Manchmal mag künstliche Intelligenz daraus bestehen, simpelste statistische Modelle anzuwenden. Manchmal ist sie wirklich komplex. Und oft wissen die Anwender selbst gar nicht, warum ein KI-Modell ein bestimmtes Ergebnis produziert.

Wer profitiert davon?

Die große Frage ist jetzt: Welche Unternehmen könnten die Nutznießer daraus sein?

Am naheliegendsten ist der Blick auf die neu empor kommenden Software-Unternehmen, die eingangs kurz angerissen habe. Aber: Es gibt noch zwei andere Ebenen in der Wertschöpfung, die womöglich deutlich mehr Potenzial haben.

Werfen wir zuerst einen Blick auf die zwei größten ETFs am Markt, sehen wir darüber hinaus zwei sehr unterschiedliche Bilder:

Im Xtrackers Artifical Intelligence and Big Data ist erstaunlicherweise die Bank of America die größte Position. Danach kommen die großen Tech-Unternehmen, ca. 80% stammen aus den USA. Das KGV liegt bei 18, das KGVe bei 16,5 - insgesamt also noch etwa auf dem Marktdurchschnitt und nicht besonders teuer.

Im Amundi STOXX Global Artificial Intelligence sind viele kleinere, kaum bekannte Unternehmen. Bis vor kurzem war noch Siemens in der Top 10, jetzt ist es u.a. Adidas. Warum? Keine Ahnung.

Auch das zeigt: Wenn bei ETFs "künstliche Intelligenz" drauf steht, kann das noch ganz unterschiedliche Vorgehensweisen bedeuten.

Ich sehe drei Ebenen im Markt:

  • Bestehende Unternehmen, die mit KI ihr Angebot verbessern
  • Neue KI-first Unternehmen
  • Infrastruktur

Diese beschreibt auch Tech-Investor Albert Wenger.

Wer verliert, wer gewinnt? Innovator's Dilemma

Das Innovator's Dilemma beschreibt, wie etablierte Unternehmen neue disruptive, technologische Trends verpassen oder diese nicht nutzen können, da sie ihr bisheriges Erlösmodell zerstören würden.

Dabei ist nicht jede Technologie disruptiv: Einige können in bestehende Produkte integriert werden und diese besser machen, damit die Platzhirschen stärken. Wirklich disruptive schaffen eine ganz neue Logik und Wertschöpfung.

Beispiele für disruptive Technologien, die Wertschöpfungsketten massiv auf den Kopf gestellt haben, sind das Internet, das Smartphone und die Elektromobilität.

  • Internet: Die Einzelhändler (Karstadt, H&M) oder Offline-Versandhäuser (Otto, Quelle, Neckermann) haben den Wandel bis auf wenige Ausnahmen nicht stemmen können. Die erfolgreichsten Online-Händler sind die, die online gestartet sind. Diese brauchen keine Filialen, sondern viel mehr Digitalberufe wie Programmierer und Designer. Auch die Logistik ist eine ganz andere. Neben dem Handel sind viele Geschäftsmodelle nur durch das Internet entstanden (Google, YouTube, Apps, soziale Netzwerke,...).
  • Smartphone: Nokia und Motorola hatten Handys. Dann kam Apple mit dem iPhone raus und hat die Wertschöpfung geändert: Es brauchte Kameras, große Touchscreens und gute Software. Die alten Handyhersteller haben den Zug verpasst, neue haben den Markt erobert. Auch Kamerahersteller wurden disruptiert und hatten keine Chance, mit ihrem Know How in den Smartphone-Markt einzusteigen.
  • Elektromobilität: Die Anforderungen an ein E-Auto sind andere als an einen Verbrenner. Es gibt viel weniger Teile, braucht mehr Software und muss unterschiedlich gebaut werden, sei es die Platzierung der Batterie oder der Windschnittigkeit des Autos. Die hochspezialisierten Produktionsanlagen mussten umgerüstet werden, es brauchte neue Expertise. Es ist unklar, wer das Rennen macht, aber Tesla hat diesen disruptiven Wandel vorangetrieben und für sich erfolgreich genutzt.

Nicht-disruptive, eher verbessernde Technologien, sind der Standardfall, für mich bspw. jeder technologische Fortschritt in der Internetgeschwindigkeit, Rechenleistung oder Kameraqualität.

Wenn KI vor allem für Disruption sorgt, könnten viele neue wertvolle Unternehmen gerade geboren werden. Wenn nicht, könnte es die Unternehmen stärken, die bereits existieren, Kundenzugang und durch KI erweiterbare Lösungen haben.

KI-first Modelle: Der unerwartete Verlierer?

Byrne Hobart von The Diff stellt einen interessanten Vergleich auf. Er sagt: Es könnte sein, dass KI wie die Stahlindustrie wird: Jeder braucht Stahl, jeder weiß wie wichtig es ist - aber Margen und hohe Renditen erzielt damit eigentlich keiner. Es ist kapitalintensiv und hat kaum Differenzierungsmerkmale.

Tatsächlich sehen wir diese Tendenzen bei der künstlichen Intelligenz. Bisher ist der Einsatz enorm teuer, jede Anfrage kostet ChatGPT ein paar Cent, was sich schnell summiert. Darin ist nicht inbegriffen, dass dieses Modell erst umfangreich trainiert werden musste.

Dazu kommt, dass bei vielen Tools schnell viele Klone aufgetaucht sind. Es gibt mittlerweile mehrere Chat-Tools, Avatar-Tools und Bilderstellungstools. Das erweckt den Eindruck: Fähige Entwickler können die Technologie schnell selbst einsetzen.

Solche Lösungen sind vor allem dann überlegen, wenn sie (a) günstiger angeboten werden oder (b) es schaffen, durch mehr Daten ein besseres Modell zu schaffen.

Günstiger könnte es dann werden, wenn die besten Grafikchips genutzt werden, die am besten auf die Software abgestimmt sind oder es querfinanzierende Erlösmodelle gibt.

Daten können auf der anderen Seite tatsächlich ein Differenzierungsmerkmal sein. Eine Untersuchung hat gezeigt, dass die Qualität der KI-Modelle nur zu 20% aus den Parametern beruhen, aber zu 80% auf den Daten, mit denen das Modell trainiert wird.

Schauen wir auf die Google Suche und ChatGPT: Niemand hat mehr Daten als Google, auch Nutzerdaten, die ChatGPT nicht hat. Technisch wird es schwer, damit überlegen zu sein.

Die Faktoren Kosten und Daten fokussieren sich vor allem auf die Angebotsseite, das Aufbauen eines solchen Modells. Die andere Seite ist die Nachfrage, über die sich abgesetzt werden kann:

Wenn die Lösung technisch weitestgehend gleichwertig ist, können die Unternehmen gewinnen, die den besten Zugang zum Markt haben. Entweder dadurch, dass sie bereits viele Kunden haben und die Lösung an diese ausrollen können, oder weil sie ihre neue Lösung am klügsten vermarkten.

KI-Infrastruktur: "Schaufeln im Goldrausch"

André Kostolany hat mal gesagt:

"Investiere bei einem Goldrausch nicht in die Goldgräber, sondern in Schaufeln"

Denn es gibt einige Unternehmen, die vom KI-Trend profitieren, da sie die Infrastruktur dafür bieten. Denn wenn mehr KI genutzt und angewandt wird, womöglich teilweise menschliche Arbeiten ersetzt, werden dafür mehr Rechenleistung und mehr Daten benötigt.

Gehen wir einige davon durch.

Nvidia

Nvidia stellt Grafikchips her und bietet eigene Software für diese an, um das optimale Ökosystem für KI-Anwendungen und Entwickler zu schaffen. Quasi jeder große Tech-Konzern ist Kunde von Nvidia, auch Automobilkonzerne wie Mercedes-Benz. Die Positionierung von Nvidia ist heute stark auf eine neue KI-Welt ausgerichtet.

TSMC

TSMC fertigt Halbleiter an. Egal, wer also die Grafikchips wie konstruiert, in vielen Fällen werden sie am Ende bei TSMC gefertigt. Auch Intel könnte hier ein Profiteur sein.

Hyperscaler: Amazon, Microsoft & Alphabet

Die Rechenleistung, die gebraucht wird, stellen vor allem die drei großen Cloud-Anbieter zur Verfügung.

ChatGPT hat die Cloud von Microsoft Azure genutzt, um das Modell darauf aufzubauen. AWS ist der Marktführer, könnte eigene Grafikchips und Anwendungen entwickeln. Die Google Cloud stammt von Alphabet, das schon länger als führend im KI-Bereich gilt.

Apple

Apple bietet ein starkes Ökosystem. Die Software und das Betriebssystem werden optimal auf die eigenen Chips abgestimmt, die zu den besten und effizientesten am Markt gehören. So werden auch KI-Anwendungen auf den Geräten selbst möglich, auch ohne, dass die Daten dafür in eine Cloud wandern müssen. Auch der AppStore ist wie eine Steuer auf alle Anwendungen, die durch KI neue Potenziale erzielen.

Palantir, C3AI & Co.: Berechtigter Hype oder heiße Luft?

Neben den genannten Unternehmen positionieren sich auch einige kleinere Unternehmen als KI-first Unternehmen. Würde ich diesen Beitrag "Die 5 unterschätzten KI-Unternehmen, die vom Megatrend profitieren" nennen, würde es vielleicht mehr Klicks erzielen.

Aber: Bei diesen fällt es mir enorm schwer zu erkennen, ob da wirklich eine taugliche KI zu außerordentlich guten Ergebnissen führt oder der Begriff KI hier primär dazu genutzt wird, um die eigenen Produkte an Kunden und die eigene Story an der Börse gut zu verkaufen.

Palantir habe ich schon ausführlich analysiert, seitdem ist die Aktie stark gefallen. Es bietet eine Datenplattform mit KI-Analysemöglichkeiten an. Die Probleme: Hohe Verwässerung, defizitär, zuletzt eine hohe Bewertung und hohe Abhängigkeit von staatlichen Kunden.

C3.AI nennt sich eine "Enterprise AI application software company". Es bietet also KI-Anwendungen für große Unternehmen. Der Börsenwert ist von fast 10 Mrd. auf 1,5 Mrd. Dollar gefallen, es ist aktuell noch hoch defizitär. 2020 war es zum Börsengang mit einem wahnsinnig hohen KUV von 60 bewertet, was zeigt, wie die KI-Story Investoren angezogen hat.

UiPath bietet Automatisierungssoftware und positioniert sich weniger für KI, beruht aber auch auf KI-gestützten Lösungen, die das Bewertungsniveau vor ein bis zwei Jahren hochgetrieben haben.

Diese Unternehmen müssen keine betrügerischen Absichten haben, können auch technologisch profitieren und sind durch ihren Absturz zuletzt auch wieder deutlich normaler bewertet. Die Gefahr ist aber, dass sie viel Hype erleben, diesen wohl auch mit befeuern, Bewertungen dadurch hochschießen, die eigentliche Produktlösung und -qualität aber - zumindest für mich - eher unklar bleibt.

Wer ist in Gefahr?

Verlierer werden die Unternehmen sein, die Lösungen anbieten, die nicht durch KI erweitert, sondern durch diese gänzlich ersetzt werden.

Erst dachte man, dass weniger qualifizierte Berufe durch KI ersetzt werden und kreative Berufe bleiben. Die Lösungen, die jetzt den Durchbruch geschafft haben, sind paradoxerweise eher die, die aus kreativen Berufen hervorgehen: Fotografie, Grafikbearbeitung, Redakteure, Übersetzer und Transkriptoren.

Aber: In meinen Augen sind das (bisher) vor allem niedrigschwelligere Tätigkeiten. Komplexere, tiefergreifende Aufgaben in diesem Bereich sind wohl schwieriger zu ersetzen.

Das könnte Unternehmen wie Fiverr oder Upwork treffen, die Freelancer für primär einfachere Aufgaben vermitteln, die in Zukunft eine KI übernehmen könnte.

Niedrigschwellige Aufgaben, die sonst mit Adobe-Produkten erledigt wurden, könnte nun eine KI abnehmen.

Die Google-Suche steht vor der Frage, ob die Suchergebnis-Logik für alle Anfragen wirklich die beste ist oder ChatGPT nicht das Geschäftsmodell herausfordert.

Diese Unternehmen können auch überlegen, selbst KI-basierte Lösungen zu integrieren. Das könnte aber im ersten Schritt ihren Umsatz wegbrechen lassen - ein klassischer Fall des Innovator's Dilemmas.

Bessere Produkte, bekannte Profiteure

Schauen wir auf die Seite der möglichen Gewinner. Wir können ohnehin nur in die Unternehmen investieren, die bereits am Markt sind, und neben den Gefahren disruptiver Technologien für diese, bieten sie auch Chancen.

Ich glaube: Nahezu jedes Unternehmen wird bei sich Anwendungsfälle finden. Wichtig ist im Einzelfall zu prüfen, ob daraus eine minimale Verbesserung oder wirklich eine deutliche Verbesserung des Produktes oder der Effizienz des Geschäftsmodells ableitet.

Apple & Amazon

Sowohl Apple als auch Amazon haben eine große Bibliothek an Büchern, v.a. eBooks. Hier wird schon eine künstliche Intelligenz genutzt, um aus all den Büchern sofort Hörbücher machen zu können. Apple nennt es "digital narration". Gerade viele kleinere Autoren können sich das nicht leisten und so gibt es plötzlich ein stark erweitertes Hörbuch-Angebot.

Das allein wird keinen riesigen Umsatzsprung bedeuten, zeigt aber, wie Unternehmen mit bestehendem Kundenzugang solche Lösungen nutzen können. Für kleine, neue Unternehmen ist sowas bedeutend schwerer.

Microsoft

Microsoft möchte KI-Lösungen in die bestehenden Produkte, bspw. die Office-Suite, integrieren. Es ist außerdem an OpenAI, dem Entwickler von ChatGPT, beteiligt und möchte diese Beteiligung wohl ausbauen. Es überlegt auch ChatGPT in die eigene Bing-Suchmaschine zu integrieren.

Microsoft besitzt auch GitHub, eine Plattform für Code-Verwaltung von und für Entwickler. Der GitHub Copilot verblüfft Entwickler immer wieder, da er automatisch Code schreiben kann und damit den Prozess vereinfacht.

Alphabet

Alphabet gilt seit Jahren als führend im KI-Bereich. Schon seit Jahren betont Sundar Pichai den Fokus des Unternehmens auf künstliche Intelligenz. Allein für die Suche, das wichtigste Segment, wird seit Jahren das KI-Fundament ausgebaut.

Alphabet beschäftigt viele Mitarbeiter, die es dazu enorm gut bezahlt - deutlich über dem Durchschnitt der Tech-Branche und auch deutlich über Konkurrenten wie Microsoft.

Es wird auch vermutet, dass Alphabet technisch schon bessere Modelle hat als die, die jetzt auf den Markt gekommen sind.

Meta

Meta ist wohl ein Überraschungskandidat in der Liste, aber einer, dem der renommierte Tech-Analyst Ben Thompson großes Potenzial beimisst.

Meta selbst investiert massiv. Brad Gerstner hat Ende 2022 einen öffentlichen Brief an Mark Zuckerberg geschrieben mit Forderungen, das Unternehmen effizienter zu machen. Er hat darin aber auch geschrieben, dass...

  • Meta langfristige Investitionsausgaben (CapEx) jährlich 30 Mrd. Dollar betragen - und da sind die Metaverse-Ausgaben nicht inbegriffen. Das ist mehr als Apple, Tesla, Twitter, Snap und Uber zusammen
  • ein Großteil der Ausgaben in Datencenter und Grafikchips von Nvidia geht
  • dadurch viele bestehende Produkte verbessert werden können, bspw. Interaktion auf WhatsApp oder Content- und Werbeaussteuerung auf Facebook und Instagram
  • darauf neue Produkte entwickelt und an Milliarden von Menschen ausgerollt werden können, bspw. Grand Teton als eigene KI-Plattform (basierend auf Nvidias GPUs), einen Echtzeit-Übersetzer für jede Sprache (so etwas hat Mark Zuckerberg zuletzt vorgestellt) oder automatisch per KI erstellte Videos
  • die Zukunft in KI liegt und Meta dafür hervorragend positioniert ist
We believe the future lies in AI. In fact, we believe that augmented and artificial intelligence has the potential to drive more economic productivity than the internet itself. And, while most companies will struggle to monetize AI, we believe Meta is incredibly well positioned to leverage AI to make all of its existing products better. [...] We also believe Meta’s investment in AI will lead to exciting and important new products that can be cross-sold to billions of customers. [...] we are witnessing a Cambrian moment in AI, and Meta is no doubt well positioned to help invent and monetize that future.

Auch Ben Thompson von Stratechery betont die Stärke der Big Tech Unternehmen im KI-Bereich, aber auch explizit die von Meta. Er sieht drei große Vorteile und Chancen:

  • Nach den Datenschutz-Einschränkungen von Apple ist auch die Effizienz der Werbung von Meta leicht zurückgegangen. Durch KI könnte die Werbeaussteuerung und Empfehlungen von Content wieder verbessert werden, was die Ausgabebereitschaft von Werbetreibenden und den Umsatz von Meta erhöht.
  • Die Kosten werden sinken, sobald die Datencenter aufgebaut sind.
  • Kaum ein anderes Unternehmen (außer Google) kann so viel investieren, ohne dadurch defizitär zu werden. Das liegt an der hohen Marge, aber auch an den einflussreichen Gründern und CEOs.

In Summe kann das sogar einen stärkeren Burggraben schaffen, da kein Konkurrent von Meta so viel investieren und dann so gute Werbelösungen und Empfehlungsmechanismen anbieten kann. Am ehesten kommt noch TikTok in Frage.

Aber: Das Erlösmodell ist dann in meinen Augen immer noch sehr eng an den Social Media Erfolg gekoppelt. Dieser kann zwar auch dadurch steigen, aber ich sehe wenig Erlösmodelle für Meta, die ganz ohne die soziale Netzwerken zustande kommen.

Tesla & die Automobilbranche

Tesla setzt auf künstliche Intelligenz, vor allem Kameras und die Auswertung der Bilder, um darauf basierend autonomes Fahren anzubieten. Eine Vision, die Elon Musk gefühlt jedes Jahr ankündigt, bisher aber noch längst nicht final ist und durchaus hohe regulatorische Hürden haben dürfte.

Nichtsdestotrotz: Es ist eine der Anwendungen, die sicherlich enorme Auswirkungen hätte, (a) wenn sie klappt und (b) wenn Tesla der große Profiteur ist. Ausführlicher habe ich das hier diskutiert.

Die anderen Automobilkonzerne bieten auch Fahrassistenzsysteme an - was offiziell auch bei Tesla nur der Fall ist - könnten aber auch von der Entwicklung profitieren. Auch wenn Mercedes-Benz zuletzt in Deutschland eine Level-3-Zulassung (Level 5 = vollautonomes Fahren erhalten hat, ist Tesla wohl führend.

Sollte sich die KI-Welt professionalisieren und Daten das relevante Unterscheidungsmerkmal sein, könnte eine autonom fahrende Technologie, die von mehreren Automobilherstellern integriert und mit Daten gefüttert wird, die überlegene sein. Möglicherweise wäre es auch Waymo, das zu Alphabet gehört, das davon profitiert.

Deere & Co

Der Agrarmaschinen-Hersteller mit der Kernmarke John Deere richtet die Ziele vor allem auf autonomes Fahren, kluge Technologien für Landwirte und neuartige Geräte aus. Ausführlich habe ich das in der Deere & Co Aktienanalyse beschrieben.

Hier verspricht die Entwicklung nicht nur effizientere, sichere und nachhaltigere Bewirtschaftung von Feldern, sondern auch große Produktivitätsgewinne für die Landwirte.

Health Care

Im medizinischen Bereich liegt der größte Anwendungsfall wohl in der Robotik (mit wenig KI) und der Erkennung von Krankheitsbildern. Für mich - als Laie - sieht das eher nach etwas aus, das die bisherigen Platzhirschen integrieren, aber auch neue, kleine Start Ups hervorbringen könnte.

Jedes Unternehmen braucht KI

Wie gesagt: Es sind nicht nur die genannten Unternehmen, die ihre Anwendungen dadurch verbessern können. Jedes Unternehmen wird zu einem gewissen Anteil KI nutzen.

Vielleicht ist es auch ein Adidas, das einige Hebel nutzen kann, um die Wachstumskurve etwas anzuheben und damit schon solide Renditen zu liefern.

Die Liste soll eher beispielhaft zeigen, was möglich ist - und tatsächlich könnte es sein, dass diese Unternehmen einerseits durch ihre starke Infrastruktur, andererseits durch ihren Kundenzugang und ihre Technologie-Affinität gut für die KI-Welle aufgestellt sind.

Mein Tipp: KI sollte nur ein Teil einer Kaufthese sein und kann Chancen, aber auch Risiken bieten, die es zu analysieren gilt. Ein blindes Aufspringen auf alles, was KI-Chancen verspricht, ist oft zu kurz gegriffen.

Fazit

Es ist gar nicht so eindeutig, gerade weil wir so früh in der Entwicklung stehen. Auch die Wertschöpfung des Internets, die definitiv disruptiv war, hat kaum jemand so skizziert wie sie eingetreten ist. In vielen Fällen sehe ich eher eine verbessernde Technologie, nur selten eine wirklich disruptive.

Auch einige Grenzen zwischen Anwendern und Infrastruktur-Anbietern sind fließend: Werden die Hyperscaler bald eigene Grafikchips entwickeln? Nutzt Tesla nur die eigene Technologie oder bietet es sie der Welt an? Kann Meta durch KI-Lösungen Erlösströme außerhalb der eigenen sozialen Netzwerke aufbauen?

Auch wenn wir vieles noch nicht wissen, lassen sich einige Tendenzen erkennen und neue Perspektiven eröffnen. Und: Künstliche Intelligenz ist in vielen Fällen mehr als ein Buzzword oder ein Hype, sondern eine Entwicklung, die wir in Zukunft immer stärker spüren werden.

Disclaimer: Die Inhalte stellen keine Anlageberatung, Kauf- oder Verkaufsempfehlungen dar, sondern spiegeln nur meine persönliche Meinung wider. Jede Investition ist mit Risiken verbunden, die du selbst prüfen musst. Es gibt keine Garantien. Ich kann selbst in besprochene Aktien investiert sein. * Bei Partnerlinks erhalte ich ggf. eine Provision.

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Ich bin Jannes, Jahrgang 1993 und Gründer von StrategyInvest. Seit 2011 investiere ich an der Börse. Damals habe ich mein VWL-Studium mit Finanzschwerpunkt erfolgreich absolviert und bin nun seit mehreren Jahren in der Digital- und Techbranche aktiv, aktuell als Product & Strategy Lead. Ich kenne daher Investieren, Technologie und Unternehmertum aus wissenschaftlicher Sicht, aber auch aus der Praxis. Die Erkenntnisse daraus teile ich hier.

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Auszug aus dem Manifest:

Regel #9: Wir schätzen Tiefe.

Wir brauchen nicht noch mehr News, Kursticker, Alertings oder Geheimtipps. Das brauchen nur Medien. Wir brauchen mehr durchdachte Informationen, fundiertes Know-how und klare Gedanken. Mehr Tiefe, weniger ablenkendes Börsengeschrei.

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