von Jannes Lorenzen

Gründer, Strategie-Lead & Investor

veröffentlicht: 28. Juli 2021

Die EZB sorgt immer wieder für Aufsehen und ist Ziel vieler Kritik an den Finanzmärkten. Zu viel Einfluss, das Schüren von Inflation und eine nicht wieder umkehrbare Niedrigzinspolitik gehören dazu.

Aber was macht die EZB aktuell -  und warum? Was sind die konkreten Kritikpunkte daran? Und welchen Einfluss hat die EZB-Politik auf Anleger?

Hier schaue ich auf die neuesten Entwicklungen und Maßnahmen der EZB und versuche diese einzuordnen. Dazu gehört der digitale Euro, die Anleihenkäufe und das neue Inflationsziel. Viel Spaß!

Das oberste Ziel der EZB

"Geldwertstabilität."

Das ist das Ziel, das die EZB mit all ihren Maßnahmen in erster Linie verfolgen soll.

Das heißt: Geld soll weder rasend entwertet noch aufgewertet werden. Anders formuliert, soll es weder eine zu hohe Inflation noch eine Deflation geben. Das Ziel ist eine gemäßigte Inflation.

Jeder soll sich sicher sein, dass das eigene Geld auch morgen noch genug wert ist.

Bei einer Inflation steigen Preise leicht. Die EZB (und andere Zentralbanken der Welt) nimmt lieber eine leichte Inflation als eine Deflation in Kauf, da eine Deflation (= fallende Preise) dazu führen kann, dass Geld gehortet wird, dieses immer mehr Kaufkraft bekommt und dadurch wiederum gehortet wird. Die Wirtschaft würde zum Erliegen kommen.

In Maßnahme #2 geht es genauer darum, wie dieses oberste Ziel kürzlich angepasst wurde.

Maßnahme #1: Der digitale Euro

Die EZB hat jüngst eine zweijährige Probephase gestartet, um den "digitalen Euro" zu konzipieren und zu prüfen.

Was ist das Ziel der Maßnahme?

Der digitale Euro soll digitalen Zahlungsverkehr ermöglichen. Dieser nimmt immer mehr zu. Der normale, physische Bargeldverkehr wurde von der EZB durch das Herausgeben von Bargeld geregelt, was im digitalen Raum entfällt. Dafür könnte der digitale Euro entstehen.

Gut, digital zahlen können wir jetzt auch schon übers Online-Banking oder Smartphones. Wo liegt also der Unterschied?

Jürgen Schaaf von der EZB antwortet dazu:

Sie können digital bezahlen, das machen Sie als Bürger weitgehend mit sogenanntem Geschäftsbankengeld, also Geld, das letztendlich der Bank gehört. Wenn Sie mit dem digitalen Euro bezahlen, würden Sie elektronisch bezahlen mit etwas, das dem Bargeld gleichkäme.

Der digitale Euro wäre also wie digitales Bargeld, ohne, dass es auf dem Konto einer Geschäftsbank liegt. Bei einer Bankenpleite wäre der digitale Euro nicht davon betroffen, da er eben kein Teil einer Geschäftsbank ist.

Außerdem soll aufstrebenden Kryptowährungen wie dem Bitcoin oder Diem, die von Facebook initiiert wurde, Konkurrenz gemacht werden.

"Wir müssen darauf achten, dass auch in fünf bis zehn Jahren die monetäre und finanzwirtschaftliche Souveränität Europas nicht komplett in den Händen nicht-europäischer, privater oder staatlicher Anbieter von digitalen Lösungen liegt." - Jürgen Schaaf

Was ist der aktuelle Stand?

Die zweijährige Probephase ist gerade im Juli gestartet, der digitale Euro steht also noch ziemlich am Anfang und es wurde noch nicht final entschieden, dass es diesen wirklich geben wird.

Jürgen Schaaf (EZB) dazu:

"Das heißt, es ist noch keine endgültige Entscheidung getroffen, aber wenn Sie so wollen, hat die Rakete die erste Stufe gezündet."

Es sind aber noch keine konkreten Anwendungsfälle oder Beispiele bekannt.

Was sind mögliche Kritikpunkte?

Fraglich ist, wie sehr der digitale Euro sich am Ende tatsächlich von bestehenden Lösungen abhebt und einen Mehrwert für Nutzer erzeugt, sodass sie genutzt wird.

Darüber hinaus wird von Kritikern befürchtet, dass der digitale Euro der Vorbote für eine Bargeldabschaffung ist und dadurch keine anonymen Zahlungen mehr möglich sein würden. Datenschützer fordern daher explizit, dass der digitale Euro anonyme Zahlungsmöglichkeiten bietet. Die EZB will hier die Möglichkeiten diskutieren.

Auswirkung für Anleger?

Bisher sind noch keine großen Effekte absehbar. Ggf. könnten Payment-Aktien davon betroffen sein, da wir allerdings nur um einen Teil der Zahlungen aus einem Teil der Erde (Eurozone), wäre der Effekt überschaubar.

Maßnahme #2: Inflationsziel geändert

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ein neues Inflationsziel verkündet: 2% pro Jahr. Vorher lag es bei "knapp unter 2% pro Jahr". Ein kleiner, aber feiner Unterschied.

Nebenbei wurde auch bestätigt, dass der zugrundeliegende Index HVPI, der die Preissteigerungen misst, beibehalten wird und eine geeignete Messgröße darstellt. Auch zu klimaschützenden Maßnahmen wurde sich verpflichtet, da "der Klimawandel weitreichende Folgen für die Preisstabilität hat".

Was ist das Ziel der Maßnahme?

Die EZB hält das neue Ziel für sinnvoller, um Preisstabilität zu gewährleisten:

"Nach Auffassung des EZB-Rats kann Preisstabilität am besten gewährleistet werden, wenn mittelfristig ein Inflationsziel von 2 % angestrebt wird. Dieses Ziel ist symmetrisch, d. h. negative Abweichungen von diesem Zielwert sind ebenso unerwünscht wie positive. Wenn die nominalen Zinssätze in einer Volkswirtschaft in der Nähe ihrer effektiven Untergrenze liegen, sind besonders kraftvolle oder lang anhaltende geldpolitische Maßnahmen nötig, um zu verhindern, dass sich negative Abweichungen vom Inflationsziel verfestigen. Dies geht unter Umständen damit einher, dass die Inflation vorübergehend leicht über dem Zielwert liegt."

Was ist der aktuelle Stand?

Die EZB möchte in der Eurozone Preisstabilität gewährleisten. Die Inflationsrate beschreibt dabei den durchschnittlichen Anstieg des Preisniveaus. In den letzten Jahren, etwa seit 2013, war das Problem vor allem eine zu niedrige Inflationsrate. Erst in den letzten Monaten gab es stärkere Preissteigerungen, bspw. bei Baumaterialen.

Das Ziel von 2% ist eine minimale Erhöhung, was nicht darauf deuten lässt, dass die expansive Geldpolitik zurückgefahren wird. Auch der ergänzende Hinweis, dass diese Zahl keine Obergrenze sei sondern auch zeitweilig moderat überschritten werden kann, verdeutlicht das.

Was sind mögliche Kritikpunkte?

Kritiker fürchten, dass die EZB in einer zu expansiven Geldpolitik steckt, was sich nun u.a. in dem leicht nach oben korrigierten Inflationsziel widerspiegelt.

Auswirkung für Anleger?

Die normale, erwartete Inflation ist für Anleger kein Problem. Sie ist in den Preisen von Wertpapieren berücksichtigt. Das Risiko besteht darin, dass die Inflation deutlich stärker über normale Niveaus steigt und dadurch Unsicherheit entsteht, die Kurse volatil oder fallen lassen.

Ob es dazu kommt ist umstritten. Hier habe ich das ausführlicher diskutiert. Bisher hat die expansive Geldpolitik allein nicht zu Inflation geführt, was zeigt, wie schwierig Prognosen hier sind.

Maßnahme #3: Anleihenkäufe (& Niedrigzins)

Unternehmen und Staaten können sich durch das Herausgeben von Anleihen finanzieren. Sie nehmen Geld auf und bieten einen Zins, der bis zur Rückzahlung gezahlt wird.

Die EZB kauft mittlerweile seit Jahren Anleihen auf: Staatsanleihen seit 2015, Unternehmensanleihen seit 2016.

Was ist das Ziel der Maßnahme?

Anleihenkäufe sind eine Maßnahme, um eine expansive Geldpolitik umzusetzen, also mehr Geld in Umlauf zu bringen und die Investitionstätigkeit (hoffentlich) zu fördern. Statt den Leitzins zu senken (was einen ähnlichen Effekt und auch eine aktive Maßnahme ist), wird hier so gekauft, dass Zinsen direkt am Markt sinken.

Entsprechend hat sich die EZB Bilanzsumme schrittweise immer weiter vergrößert:

EZB Bilanzsumme

Die Logik dahinter: Je mehr Anleihen gekauft werden, desto höher steigen die Kurse. Da der Rückzahlungswert der gleiche bleibt, sinkt die Rendite.

Dadurch sind beispielsweise deutsche Staatsanleihen so stark im Zins gefallen, dass Deutschland sich Geld für einen negativen Zins leihen kann, also Geld wiederbekommt.

Was ist der aktuelle Stand?

Gerade in der Corona-Pandemie ist die EZB sehr aktiv geworden. Zuletzt wurde das Tempo der Anleihenkäufe nochmal erhöht. Am 11. März 2021 hat Christin Lagarde dazu gesagt, nicht mehr als geplant investieren zu wollen, die Käufe aber vorzuziehen.

Der Grund dahinter sind gestiegene Zinsen am Anleihemarkt, was wiederum schwierigere Finanzierungsbedingungen für Unternehmen darstellt.

Was sind mögliche Kritikpunkte?

Auch die Anleihenkäufe sind Ziel der Kritiker, die eine zu expansive Geldpolitik fürchten. Die Angst: Es gibt zu viele Anreize für Staaten und Unternehmen Schulden aufzunehmen, was es wiederum erschwert, die Zinsen wieder zu steigern. Außerdem könnte es die Grundlage für eine Hyperinflation sein - eine Angst, die ich schon hier diskutiert habe.

Außerdem wird eine "verdeckte Staatenfinanzierung" kritisiert. Rechtlich darf die EZB keine Staaten finanzieren, da diese Institutionen unabhängig voneinander funktionieren und sich nicht gegenseitig beeinflussen sollen. Kritiker werfen der EZB vor, dass durch das Vorgehen diese Regelung quasi ignoriert oder rechtlich geschickt umgangen wird.

Das hat u.a. dazu geführt, dass das Bundesverfassungsgericht die Staatsanleihenkäufe für kompetenzwidrig erklärt hat. Der Europäische Gerichtshof kam vorher zu einem anderen Urteil. Auch hier wird vereinfacht gesagt vor allem kritisiert, dass die Maßnahmen zu starke Auswirkungen habe, die außerhalb des Ziels der Preisstabilität liegen.

Auswirkung für Anleger?

Auch Anleihenkäufe bergen das Risiko der Inflation, wie vorhin beschrieben.

Dazu kommt, dass der Anleihenmarkt momentan tendenziell verzerrt ist: Sichere Anlageinstrumente wie deutsche Staatsanleihen sind ziemlich unattraktiv. Renditesteigerungen scheinen unwahrscheinlich und die Negativzinsen auf Bankkonten sind nur für wenige Anleger wirklich ein Problem.

Fazit: Die 3 Maßnahmen der EZB

Vor allem drei Maßnahmen gibt es aktuell, von denen zumindest zwei auf das große Ziel der Herdenimmunität einzahlen:

  1. Der digitale Euro
  2. Geändertes Inflationsziel
  3. Anleihenkäufe & niedriger Leitzins

Die Angst von Anlegern und Kritikern bezieht sich vor allem auf (a) eine aus dem Ruder laufende Inflation und (b) indirekte Effekte auf Wirtschaft ("Zombieunternehmen") oder Vermögensverteilungen.

Tags: Inflation | Aktien:

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Ich bin Jannes, Jahrgang 1993 und Gründer von StrategyInvest. Seit 2011 investiere ich an der Börse. Damals habe ich mein VWL-Studium mit Finanzschwerpunkt erfolgreich absolviert und bin nun seit mehreren Jahren in der Digital- und Techbranche aktiv, aktuell als Product & Strategy Lead. Ich kenne daher Investieren, Technologie und Unternehmertum aus wissenschaftlicher Sicht, aber auch aus der Praxis. Die Erkenntnisse daraus teile ich hier.

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Auszug aus dem Manifest:

Regel #7: Wir kaufen nicht nur, weil etwas steigt.

Einige Aktionäre kaufen Aktien nur wegen eines „Geheimtipps“, eines steigenden Kurses oder eines Hypes und merken erst dann, wenn sie fällt, dass die Geschäftszahlen die Bewertung kaum rechtfertigen konnten. Angesagte Aktien können auch gute Aktien sein. Sie nur wegen eines Hypes zu kaufen, wäre aber kurzfristige Spekulation. Und wir wissen: Nur weil eine Aktie gut ist, stark wächst oder im Hype ist, heißt es nicht, dass sie auf Dauer überdurchschnittlich gute Renditen abwirft. Oftmals ist das Gegenteil der Fall.

zum kompletten StrategyInvest Manifest »

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