von Jannes Lorenzen

Gründer, Strategie-Lead & Investor

veröffentlicht: 10. Mai 2020

Die Aktienmärkte weltweit sind in den letzten Wochen wieder stark gestiegen – obwohl die Nachrichten zur Wirtschaft immer schlechter geworden sind.

Spielt die Börse verrückt? Woher kommt diese (wahrgenommene) Diskrepanz zwischen Wirtschaft und der Börse? Und, noch wichtiger: Was bedeutet das für dich als Anleger?

Du erfährst heute:

  • 4 Gründe für den Kursanstieg, obwohl sich die Krisenmeldungen der Wirtschaft häufen
  • Realitätscheck meiner Prognosen: Was ist aus meinen Investitionen geworden und was lernst du daraus?
  • Market Timing: Was du darüber jetzt wissen musst (Theorie vs. Praxis)
  • Meine Erwartungshaltung & mögliche Strategien, um jetzt klug zu investieren

Ich möchte dir hier kompakt die wichtigsten Erkenntnisse und Schlussfolgerungen mitgeben und damit meine letzte, beliebte Crash-Analyse von vor 1,5 Monaten updaten. Viel Spaß!

Faktencheck: Was ist zuletzt passiert?

Am 18. März 2020 habe ich den Corona-Crash ausführlich unter die Lupe genommen, analysiert und meine Handlungsempfehlungen gegeben. Dafür machen wir gleich ein erstes Zwischenfazit.

Schauen wir aus heutiger Sicht auf den US-Aktienmarkt sehen wir folgende Entwicklungen:

Und, zur Einordnung, ist das der 5-Jahres-Verlauf des S&P500:

Die Schlagzeilen zum Coronavirus haben sich seitdem gehäuft. Zusammengefasst:

  • Große Staatshilfen sind notwendig, um die Wirtschaft zu stabilisieren
  • Die Arbeitslosigkeit, v.a. in den USA (aufgrund geringerer sozialer Absicherung als in Deutschland) steigt rasant an
  • Drohende Insolvenzen von kleinen Unternehmen und größeren Unternehmen aus stark betroffenen Branchen, bspw. der Reisebranche

Aber wie können die Kurse dann so stark steigen?

Die Börse verrät es uns natürlich nicht so leicht. Es gibt aber einige mögliche Gründe:

  1. Fiskalpolitik: Die großen Staatshilfen, die danach bekannt gegeben wurden, reduzieren das Risiko der Aktienunternehmen.
  2. Geldpolitik: In den USA wurden die Zinsen stark gesenkt, sodass Unternehmen sich günstiger finanzieren können.
  3. Alternativlosigkeit: Dadurch, dass die Zinsen niedriger sind, sind Staatsanleihen unrentabler. Dadurch wird möglicherweise selbst bei geringerer Renditeerwartung in Aktien investiert, da Anleihen noch weniger Rendite versprechen.
  4. Etwas mehr Gewissheit: Die Lage ist immer noch unsicher, aber durch mehr Daten und einen längeren Zeitraum etwas besser einschätzbar.

Realitätscheck: Was waren meine Prognosen?

Am 18. März habe ich unter anderem geschrieben:

Aktien kaufen ist für langfristige Anleger immer eine gute Idee. Aktuell scheint es tatsächlich eine umso bessere Idee zu sein, wenn du die nötige Geduld und Disziplin mitbringst.

Wie oben gezeigt, sind die Aktienkurse ziemlich kurz danach um über 25 % gestiegen.

Ich habe einige Aktien analysiert und, wie hier festgehalten, auch selbst gekauft. Dazu gehören u.a. Facebook und Spotify.

Beide Aktien haben mittlerweile starke Quartalszahlen vorgelegt, infolgedessen die Aktienkurse gestiegen sind. Mehr dazu in Kürze.

Auch andere Aktien, die davon profitieren, dass viele Menschen zuhause bleiben, haben weiter profitiert: Zum Beispiel Amazon und auch Netflix haben ein neues Rekordhoch erreicht.

Warum Amazon profitiert hat, habe ich hier analysiert. Auch Netflix hat aktuell hervorragende Voraussetzungen: Die Werbeflächen für Netflix werden günstiger, da viele andere Unternehmen sich zurückziehen, auf der anderen Seite wird das Produkt begehrter, da mehr Zeit zuhause verbracht wird.

Meine Prognosen und Investitionen sind, objektiv betrachtet, ziemlich gut gelaufen.

Aber: Ich sehe die zugrundeliegende Analyse immer noch so. Und ich glaube nach wie vor, dass in der Panik alle Aktien abgestoßen wurden, ohne genauer zu schauen, welche Aktien stärker oder schwächer betroffen waren. Es war aber zu einem großen Teil Glück, dass das Timing so gut gestimmt hat und der Markt – und auch die gekauften Aktien – so schnell gestiegen sind.

Ich investiere und analysiere langfristig. Das heißt, dass der Erfolg nicht kurzfristig gemessen werden sollte – auch, wenn es hier zu einem Vorteil ausging. Hier hilft aber ehrliche Selbstreflektion.

Ich hätte also aktuell allen Grund dazu, zu behaupten, die Märkte vorhersehen zu können und jetzt weiter zu versuchen, die Märkte kurzfristig vorherzusehen, wie viele andere Anleger. Aber ist das aktuell sinnnvoll?

Was sagt die Theorie – und was machen Anleger?

Zahlreiche Anleger, Börsenmedien und Börsengurus beschäftigen sich tagtäglich – heute noch mehr als ohnehin schon – damit, den Verlauf der Aktienmärkte über die nächsten Monate vorherzusehen.

Die Finanzwissenschaft hat diese Versuche vielfach untersucht und kommt im Konsens zur Erkenntnis: Es ist nicht möglich, den Markt zuverlässig zu timen. (ausführlicher besprechen wir fortgeschrittene Methoden wie „Market Timing“ in der Academy)

Daniel Kahnemann, seines Zeichens Wirtschaftsnobelpreisträger, schreibt dazu in seinem hervorragenden Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“:

Mehrere Jahre lang führten Professoren der Duke University eine Erhebung durch, bei der die Finanzvorstände von Großunternehmen die durchschnittliche Rendite eines Aktienindex von Standard & Poor’s im folgenden Jahr vorhersagen sollten.

Die Duke-Wissenschaftler sammelten 11.600 derartige Vorhersagen ein und überprüften ihre Genauigkeit. Das Ergebnis war eindeutig:

Finanzvorstände von Großunternehmen hatten keinen blassen Schimmer davon, wie sich der Aktienmarkt auf kurze Sicht entwickeln würde; die Korrelation zwischen ihren Schätzungen und dem tatsächlichen Wert lag knapp unter null!

Auch Warren Buffett hat sich mehrfach zum Market Timing geäußert. Ein Zitat:

People that think they can predict the short-term movement of the stock market — or listen to other people who talk about (timing the market) — they are making a big mistake.

Die Versuche, jetzt den Markt auf Sicht der nächsten Monate vorherzusehen, siehst du überall. Aber vergiss nicht: Sie stehen auf sehr wackligem Fundament.

Dazu kommt ein simples Gedankenspiel. Eingangs habe ich die Diskrepanz beschrieben, die viele Anleger und auch Experten gerade sehen:

Die Aktienmärkte weltweit sind in den letzten Wochen wieder stark gestiegen – obwohl die Nachrichten zur Wirtschaft immer schlechter geworden sind.

Wenn wir jetzt sehen, dass der Markt sich unerwartet schnell wieder zu einem großen Teil erholt hat, verdeutlicht es die Schwierigkeit: Wie soll der Markt über die nächsten Monate vorhersehbar sein, wenn der Markt in den letzten Wochen schon absolut unvorhersehbar war?

Halten wir also fest:

  • Die Theorie und Wissenschaft sagt: Kurzfristiges Markt Timing funktioniert nicht
  • Die Praxis zeigt: Viele Anleger beschäftigen sich trotzdem mit dem Market Timing
  • Die letzten, schwer nachvollziehbaren Marktbewegungen zeigen: Märkte sind kurzfristig nicht vorhersehbar

Lass mich dir also zeigen, wie ich die Lage aktuell einschätze und ich das Investieren in heutiger Zeit sehe.

Wie reagierst du in der Praxis?

Kurzfristig ist es nicht möglich, die Märkte vorherzusehen. Trotzdem können wir eine grobe Chance-Risiko-Einschätzung vorzunehmen und darauf basierend schauen, wie Investitionen heute sinnvoll sind.

In der letzten Analyse war ich optimistisch und habe investiert. Heute bin ich verhaltener.

Denn ich habe zwei Grundthesen als Leitplanken:

These #1: Der Markt sollte, basierend auf Fundamentaldaten, innerhalb des nächsten halben Jahres nicht über die letztenn Allzeithochs steigen.

Demnach liegt das Aufwärtspotenzial beim DAX im optimalsten Verlauf bei maximal + 28%, im S&P500 bei 19,5 %.

These #2: Der Markt kann innerhalb der nächsten 6 Monate immer noch stark fallen, da die Auswirkungen – bspw. durch Arbeitslosigkeit, Insolvenzen oder strapazierte Staatsfinanzen – noch nicht abschätzbar sind.

Hier ist das Abwärtsrisiko schwer abzuschätzen. Wenn wir davon ausgehen, dass die Märkte vom zuletzt markierten Allzeithoch in Summe 50 % niedriger dastehen könnten, hat der DAX ein Risiko von – 35 % und der S&P500 etwa – 45 % (wobei dieser besser aufgestellt ist als der DAX).

Diese grobe Einschätzung zeigt, dass das Risiko die Chance leicht überwiegt.

Aber was machen wir nun daraus?

Diese kurzfristige Betrachtung kann dir keine Garantie liefern. Sie sollte dir aber zeigen, dass wir kurzfristig immer noch ein Risiko einkalkulieren müssen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir kurzfristig – auf Sicht des gesamten Marktes – rasante Kurssprünge sehen, da die Unsicherheit noch länger im Markt sein wird und wir einen großen Teil zuletzt aufgeholt haben.

Das Investieren in einzelne Aktien hat natürlich andere Mechanismen: Dort kann es durchaus dazu kommen, dass einzelne Aktien in dieser Phase gut abschneiden und sich dort unterschiedliche Chance-Risiko-Profile ergeben.

Anleger, die langfristig investieren, sollten ohnehin unabhängig von der aktuellen Marktphase investieren. Dabei solltest du aktuell nicht blind investieren, da es gerade „günstig“ ist, sondern dir auch des kurzfristigen Risikos bewusst sein.

Genauso kann es gerade heute erhöhtes Kurspotential geben, das viele Experten auf den Vorkrisenniveaus (Rekordkurse im DAX und S&P500) nicht mehr gesehen haben, auch wenn ich kurzfristige Kurssprünge nicht erwarten würde.

Wie kannst du jetzt konkret investieren?

Die Ratschläge und Investment-Ideen, die ich hier vorgestellt habe, sind nach wie vor aktuell. Dort findest du Aktien & ETFs, die jetzt interessant sind.

Wenn du das Risiko reduzieren möchtest:

  1. Setze auf Aktien, die davon profitieren, wenn Menschen zuhause bleiben.
  2. Setze auf ETFs, die auf die Faktoren „Quality“ oder „Low Volatility“ setzen.
  3. Gehe nicht „all in“, sondern steige schrittweise ein.

Wenn du mehr Risiko auf dich nehmen möchtest:

Das Investieren in Schwellenländer kann nach wie vor für risikoaffine Anleger interessant sein. Eine Analyse von Norbert Keimling von StarCapital zeigt, dass diese sogar um 2 % günstiger bewertet sind (anhand von CAPE und KBV) als 2009, also nach der Finanzkrise.

Basierend auf diesen Kennzahlen ist Deutschland übrigens 24 % teurer und die USA 85 % teurer bewertet. Wohlgemerkt, im Vergleich zum sehr günstigen Niveau nach der Finanzkrise.

Meine 5 Tipps der letzten Analyse sind immer noch aktuell, nur Tipp #2 sehe ich heute etwas vorsichtiger, aber immer noch richtig:

1. Investiere in Aktien, wenn du langfristig anlegen möchtest und Geduld mitbringst.

2. Kaufe gezielt jetzt nach, wenn du mutig bist und glaubst, dass der Kursverlust stärker war als der Wertverlust. In der Zukunft werden die heutigen Kurse höchstwahrscheinlich nach günstigen Kaufkursen aussehen.

3. Kümmere dich um deine Asset Allocation (hier findest du meine Tipps dazu). Anleger, die diese vernachlässigt haben, haben zuletzt überdurchschnittlich verloren und gemerkt, dass sie zu viel Risiko eingegangen sind.

4. Akzeptiere, dass es kurzfristig weiter runter gehen kann und dass niemand weiß, wie die Kurse sich in den nächsten Tagen und Wochen entwickeln. Auch kurzfristige Verluste von nochmal -10 % bis – 20 % können uns noch bevorstehen.

5. Halte an deiner Strategie fest. Dafür hast du sie schließlich festgelegt. (Wenn nicht: hier entlang und ich helfe dir)

Und, was du dazu noch machen solltest:

Ignoriere die Prognosen, die nach kurzfristigen Kursprognosen und Garantien suchen. Kenne die Chancen, kenne die Risiken und anhand dessen kannst du entscheiden, wie du jetzt klug und, noch wichtiger, deiner Anlagestrategie entsprechend, vorgehst.

Tags: Coronavirus | Aktien:

Disclaimer: Die Inhalte stellen keine Anlageberatung, Kauf- oder Verkaufsempfehlungen dar, sondern spiegeln nur meine persönliche Meinung wider. Jede Investition ist mit Risiken verbunden, die du selbst prüfen musst. Es gibt keine Garantien. Ich kann selbst in besprochene Aktien investiert sein. * Bei Partnerlinks erhalte ich ggf. eine Provision.

Für deinen Wissensaufbau: Alle Know How Beiträge | Videokurs | Anlagestrategie in 20 Punkten

Ich bin Jannes, Jahrgang 1993 und Gründer von StrategyInvest. Seit 2011 investiere ich an der Börse. Damals habe ich mein VWL-Studium mit Finanzschwerpunkt erfolgreich absolviert und bin nun seit mehreren Jahren in der Digital- und Techbranche aktiv, aktuell als Product & Strategy Lead. Ich kenne daher Investieren, Technologie und Unternehmertum aus wissenschaftlicher Sicht, aber auch aus der Praxis. Die Erkenntnisse daraus teile ich hier.

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Wo ich Aktien & ETFs kaufe: Meine Empfehlungen →

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Auszug aus dem Manifest:

Regel #9: Wir schätzen Tiefe.

Wir brauchen nicht noch mehr News, Kursticker, Alertings oder Geheimtipps. Das brauchen nur Medien. Wir brauchen mehr durchdachte Informationen, fundiertes Know-how und klare Gedanken. Mehr Tiefe, weniger ablenkendes Börsengeschrei.

zum kompletten StrategyInvest Manifest »

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