von Jannes Lorenzen

Gründer, Strategie-Lead & Investor

veröffentlicht: 4. August 2021

In der Börsenwelt hat sich einiges getan. Heute:

Viel Spaß!

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Storys der Woche

🇨🇳 Das China-Risiko: Kann man noch guten Gewissens investieren?

Heute gibt's angesichts der jüngsten Ereignisse ein China-Spezial. Was passiert dort gerade, wie stehen die großen Aktien da und was bedeutet das für Anleger?

Was passiert gerade in China?

Die chinesischen Behörden haben deutlich mehr Macht als in westlichen Industrienationen. Wo bei uns geordnete Gerichtsverfahren über mehrere Jahre stattfinden, gibt es in China auch willkürlich wirkende Beschlüsse, die mitunter politisch motiviert wirken.

Jack Ma, der Gründer von Alibaba und einer der reichsten Menschen Chinas, war nach seiner Kritik an der Finanzbehörde für mehrere Monate verschwunden.

Ein anderes Beispiel ist Didi: Die App, die Fahrten vermittelt (ähnlich wie Uber), wurde aus den App Stores geworfen und die Aktie ist auf Talfahrt. Tagesschau schreibt:

Mehr als vier Milliarden US-Dollar hat Didi Chuxing vor einer Woche in New York eingesammelt - ein starkes Börsendebüt. Doch zwei Tage später ging es Schlag auf Schlag: Die Behörden in Peking kündigten überraschend an, den nach Uber zweitgrößten Fahrdienstvermittler der Welt wegen Gefährdung von Chinas Cybersicherheit zu überprüfen. Dann flog die Didi-App aus den chinesischen App-Stores.

Außerdem wurde gerade dem kompletten E-Learning Markt die Grundlage entzogen, da die Unternehmen nun nach einer kurzfristigen Bildungsreform keine Gewinne mehr erzielen dürfen. Der Tagesspiegel schreibt dazu:

Den Instituten wurde untersagt, Schüler am Wochenende zu unterrichten. Akademische Angebote für Kinder unter sechs Jahren müssen komplett eingestellt werden. Insgesamt ist aus einem Milliardengeschäft über Nacht ein Non-Profit-Segment geworden.

Das schürt ein Klima der Unsicherheit unter Investoren, wodurch nahezu der komplette chinesische Aktienmarkt darunter leidet. Vor allem sind neben den genannten Märkten die Tech-Aktien, die größten Unternehmen und die Finanzbranche betroffen.

Dabei entstehen unterschiedliche Risiken: Wie entwickeln sich die Unternehmen? Werden Unternehmen Segmente abspalten müssen? Werde ganze Unternehmen oder Sparten womöglich einfach über Nacht verstaatlicht?

Wie steht der Markt und die großen Aktien da?

China ist die größte Region im MSCI Emerging Markets und damit bei vielen Anlegern im Depot. Es gibt einige große Aktien, die dabei eine besondere Rolle spielen.

MSCI Emerging Markets & MSCI China

Der MSCI China sieht noch okay aus, gerade deshalb, da der Aktienmarkt als Ganzes sich seit der Corona-Pandemie stark erholt hat. Trotzdem ist kürzlich ein vergleichweise starker Verlust zu sehen.

Der MSCI Emerging Markets, in dem China mit 38% die größte Region ist, zeigt ein ähnliches Bild: Höher als vor einem Jahr, aber in den letzten Wochen größere Verluste.

Tencent

Tencent ist das wertvollste chinesische Börsenunternehmen. Aus der Tencent Aktienanalyse:

Tencent ist so etwas wie eine Kombination aus Facebook, Google, PayPal, Activision und Spotify. Es ist ein vollumfassendes Internetunternehmen, das größte Unternehmen Chinas und das sechstgrößte Unternehmen der Welt.

Es bietet mit WeChat eines der weltweit größten Messaging-Netzwerke (und bietet dabei weit mehr als das), steckt hinter einigen der aktuell beliebtesten Videospiele weltweit und ist an vielen namhaften Unternehmen beteiligt.

Tencent hat in den letzten Monaten nun etwa 40% an Wert verloren und gehört damit zu den am stärksten getroffenen Unternehmen.

Was ist Tencent konkret passiert?

  • Sie mussten auf Druck der Behörden die Registrierungen für WeChat stoppen, um die Sicherheitstechnologie zu prüfen. Allein an diesem Tag verlor die Aktie 10%.
  • Es gibt Anweisungen, dass die monopolartige Stellung von Tencent in der chinesischen Musikindustrie ein Dorn im Auge der Regierung ist und diese Sparte daher abgetreten werden soll.

Optisch sieht die Aktie, basierend auf den fundamentalen Zahlen, enorm günstig aus:

  • KGVe: 27
  • 27% jährl. Umsatzwachstum
  • 35% Nettomarge

Alibaba

Alibaba ist der zweitgrößte Börsenkonzern Chinas und vor allem im E-Commerce und im Payment-Bereich unterwegs. Auch die Alibaba Aktie ist seit Monaten im Sinkflug:

Was ist Alibaba konkret passiert?

  • Der Börsengang der Finanzsparte Ant Financial musste abgesagt werden.
  • Jack Ma war nach Kritik an der Finanzbehörde monatelang verschwunden. Ob hier nur ein zeitlicher oder auch ein kausaler Zusammenhang besteht ist unklar.
  • Alibaba musste eine Kartellstrafe von 2,8 Mrd. USD zahlen, weil es den Wettbewerb eingeschränkt habe
  • China plant wohl eine eigene Digitalwährung zu etablieren, die Alibabas Zahlungsdienst Alipay unter Druck bringen könnte

Optisch sieht auch die Alibaba Aktie, basierend auf den fundamentalen Zahlen, enorm günstig aus:

  • KGVe: 20
  • 42% jährl. Umsatzwachstum
  • 21% Nettomarge

Was bedeutet das jetzt für Anleger?

Es mehren sich unterschiedliche Fragen, wie Anleger jetzt klug mit der Situation umgehen.

"Sollte man China und Schwellenländer prinzipiell meiden?"

Es gibt prinzipiell zwei zentrale Argumente, warum - in meinen Augen - Schwellenländer zu einem guten Depot gehören:

  1. Diversifikation: Eine weltweite Streuung umfasst eben alle Länder, die investierbar sind. Ohne Schwellenländer fehlen etwa 15% der weltweiten Marktkapitalisierung bzw. 30% der weltweiten Wirtschaftskraft und über 50% der weltweiten Bevölkerung.
  2. Rendite: Schwellenländer haben historisch eine etwas höhere Rendite als Industrienationen geliefert, bei (bzw. durch) etwas höheres Risiko.

Tatsächlich ist gerade das, was wir jetzt sehen, der Grund, warum langfristige Anleger aus Renditegründen in Schwellenländer investieren: Es ist das zusätzliche Risiko, das Anleger in Industrienationen nicht tragen.

In der Finanzwissenschaft ist vom "Political Risk Premium" die Rede, also einer Renditeprämie für politische Risiken.

Anders formuliert: Nur wenn politisch riskante Regionen (wie Schwellenländer) eine höhere Renditeerwartung liefern können sie für die höheren politischen Risiken entschädigen.

Viele sagen nun "Finger weg von chinesischen Aktien!". Zum einen kommen diese Warnrufe erst im Nachhinein, zum anderen ist das eben eine sehr kurzfristige Sicht und langfristig genau der Grund, warum überhaupt mehr Rendite dort zu erwarten ist.

"Sollte man wegen der günstigen Fundamentalzahlen nachkaufen?"

Die Fundamentalkennzahlen sehen optisch günstig aus. Die große Frage, die aktuell aber niemand beantworten kann, ist: Wie verlässlich sind diese Entwicklungen noch in Zukunft?

Wenn die Geschäfte weitestgehend unbeschadet oder nur mit leichten Rückgängen weiterlaufen, ist der Kaufzeitpunkt sicherlich günstig. Wenn die Geschäfte noch stärker eingeschränkt oder zerschlagen werden, ist der Kaufzeitpunkt eher teuer.

In meinen Augen ist es okay, jetzt zu investieren, wenn man (a) einen langfristigen Anlagehorizont mitbringt (und nicht auf kurzfristige politische Entscheidungen spekuliert) und (b) sich des damit verbundenen Risikos und der möglichen Verzerrung der Fundamentalkennzahlen bewusst ist.

"Wie sollte man generell mit solchen Risiken umgehen?"

Es gibt in meinen Augen gute Gründe in Schwellenländer und auch in China zu investieren. Die politischen Risiken, die wir jetzt sehen, sind tatsächlich ein Grund dafür.

Was wichtig ist:

  1. Du musst verstehen, warum du wo investierst und was die Gründe für eine mögliche Mehrrendite sind, die du erwartest.
  2. Du solltest dich auf die lange Sicht und nicht auf kurzfristige Ereignisse fokussieren.
  3. Willst du in Schwellenländern Risiken rausnehmen, investiere breit gestreut (wie ich es bspw. auch mache, wie ich im Depot ausgeführt habe). Die großen Aktien sind hier stärker gefallen als der Markt.
  4. Wenn du in einzelne Aktien investierst, solltest du immer auf das Chance-Risiko-Verhältnis schauen. Gerade das Risiko nach unten ist in solchen Märkten größer. Ich nutze dafür meine Aktienbewertung in unterschiedlichen Szenarien und vergebe Minuspunkte in der Scorecard im Bereich Risiko, wenn eine Aktie in einem politisch weniger verlässlichen Land sitzt.

Inspiration

📌 Zahl des Tages

153 Mrd. Dollar

... haben die fünf größten chinesischen Tech-Aktien zuletzt an Börsenwert verloren.


Praxiseinblick & Gedanken

🔎 Earnings Season: Apple, Microsoft, Amazon, Netflix, Tesla, Teladoc Health uvm.

Es gab wieder einige neue Quartalszahlen. Ein kurzer Überblick:

  • Apple: Erwartungen übertroffen, +38% Umsatz YoY, +93% Gewinn YoY, Aktienkurs eher unverändert. Nach wie vor sind das Service- und das Accessoires-Geschäft mit am wachstumsstärksten, aber auch der iPhone-Umsatz hat sich um fast 50% gesteigert.
  • Amazon: Erwartungen nicht erfüllt, +27% Umsatz YoY, +50% Gewinn YoY, Aktienkurs -7%. Die Cloud-Sparte ist mit +37% gewachsen. Die Prognose fürs kommende Quartal lag bei nur 16% Wachstum.
  • Alphabet: Erwartungen übertroffen, +62% Umsatz YoY, +160% Gewinn YoY, Aktienkurs eher unverändert. Die Cloud-Sparte ist um ca. 50% gewachsen, die Werbeerlöse vor allem aufgrund von mehr Ausgaben des Einzelhandels etwas stärker.
  • Microsoft: Erwartungen übertroffen, +21% Umsatz YoY, +47% Gewinn YoY, Aktienkurs eher unverändert. Vor allem die Cloud-Sparte hat sich mit einem Wachstum von etwa 50% stark entwickelt.
  • Facebook: Erwartungen übertroffen, +56% Umsatz YoY, +100% Gewinn YoY. Der Aktienkurs ist ca. 6% gefallen, da die Prognosen für kommende Quartale (v.a. durch Apples Privatsphäre-Einschränkungen) eher verhalten ausfielen.
  • Tesla: Erwartungen übertroffen, +98% Umsatz YoY, +106% EBITDA YoY, Aktienkurs eher unverändert. Mit einem Umsatz von 12 Mrd. Dollar und einem Gewinn von 1,1 Mrd. Dollar hat Tesla das mit Abstand stärkste Quartal der Firmengeschichte hingelegt.
  • Netflix: Erwartungen nur teilweise erfüllt, +19% Umsatz YoY, +90% Gewinn YoY, Aktienkurs um ca. 5% gefallen. Netflix konnte 1,5 Mio. neue Abonnenten gewinnen, während vorher 1,15 Mio. erwartet wurden. Hier zeigt sich eine vorherige Vermutung: In der Corona-Pandemie wurde weniger produziert und Wachstum vorgezogen. Nun ist das Wachstum langsamer und es fehlen große Blockbuster-Produktionen.
  • Teladoc Health: Erwartungen teilweise erfüllt. +51% Umsatz YoY, leicht erhöhte Prognose für 2021, Aktienkurs hat ca. 5% verloren.
  • PayPal: Erwartungen nicht erfüllt. Umsatz +17% YoY, Gewinn -20% YoY, Aktienkurs -7%. Für das gesamte Jahr peilt PayPal 26 Mrd. Dollar Umsatz an.

📊 Außerdem: Immobilienfusion abgesagt, Robinhood IPO, Cloudflare vs. Amazon, Square kauft für 29 Mrd.

  • Die angepeilte Fusion von Deutsche Wohnen und Vonovia ist vorerst gescheitert. Weniger als 50% der Aktionäre von Deutsche Wohnen haben das Angebot von Vonovia angenommen. Möglicherweise startet Vonovia aber noch einen neuen Versuch.
  • Robinhood ist nun wie angekündigt an die Börse gegangen. Der Start war aber turbulent: Am ersten Tag hat die Aktie etwa 10% verloren.
  • Cloudflare lehnt sich gegen Amazon auf und kritisiert, dass Amazons Clouddienst AWS überzogene Gebühren beim Datentransfer verlangt, die der Mission von Amazon widersprechen
  • Square übernimmt den australischen Zahlungsabwickler Afterpay für die stolze Summe von 29 Mrd. US-Dollar. Dabei fließt kein Geld, sondern Square zahlt mit eigenen Aktien. Das ist der Vorteil einer hohen Bewertung. Für die Square-Aktie ging's 10% hoch.

Inspiration

💭 Börsenweisheit des Tages

"Politische Börsen haben kurze Beine."

✌️ Das war es mit dem heutigen Briefing. Danke, dass du dabei bist!

Disclaimer: Die Inhalte stellen keine Anlageberatung, Kauf- oder Verkaufsempfehlungen dar, sondern spiegeln nur meine persönliche Meinung wider. Jede Investition ist mit Risiken verbunden, die du selbst prüfen musst. Es gibt keine Garantien. Ich kann selbst in besprochene Aktien investiert sein. * Bei Partnerlinks erhalte ich ggf. eine Provision.

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Ich bin Jannes, Jahrgang 1993 und Gründer von StrategyInvest. Seit 2011 investiere ich an der Börse. Damals habe ich mein VWL-Studium mit Finanzschwerpunkt erfolgreich absolviert und bin nun seit mehreren Jahren in der Digital- und Techbranche aktiv, aktuell als Product & Strategy Lead. Ich kenne daher Investieren, Technologie und Unternehmertum aus wissenschaftlicher Sicht, aber auch aus der Praxis. Die Erkenntnisse daraus teile ich hier.

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Auszug aus dem Manifest:

Regel #8: Wir diversifizieren.

Wir wissen, dass wir nicht alles wissen können. Diversifikation ist daher der beste Schutz vor zu großen Risiken. Indem wir diversifizieren schützen wir uns vor den Börsenlaunen und Extremen. Dafür setzen wir nicht nur auf einzelne Branchen, Trends oder Märkte. Wir schaffen eine breite Grundlage, nutzen dafür einzelne Aktien oder ETFs.

zum kompletten StrategyInvest Manifest »

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