In der Börsenwelt hat sich einiges getan. Heute:
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Storys der Woche
Das China-Risiko: Kann man noch guten Gewissens investieren?
Heute gibt's angesichts der jüngsten Ereignisse ein China-Spezial. Was passiert dort gerade, wie stehen die großen Aktien da und was bedeutet das für Anleger?
Was passiert gerade in China?
Die chinesischen Behörden haben deutlich mehr Macht als in westlichen Industrienationen. Wo bei uns geordnete Gerichtsverfahren über mehrere Jahre stattfinden, gibt es in China auch willkürlich wirkende Beschlüsse, die mitunter politisch motiviert wirken.
Jack Ma, der Gründer von Alibaba und einer der reichsten Menschen Chinas, war nach seiner Kritik an der Finanzbehörde für mehrere Monate verschwunden.
Ein anderes Beispiel ist Didi: Die App, die Fahrten vermittelt (ähnlich wie Uber), wurde aus den App Stores geworfen und die Aktie ist auf Talfahrt. Tagesschau schreibt:
Mehr als vier Milliarden US-Dollar hat Didi Chuxing vor einer Woche in New York eingesammelt - ein starkes Börsendebüt. Doch zwei Tage später ging es Schlag auf Schlag: Die Behörden in Peking kündigten überraschend an, den nach Uber zweitgrößten Fahrdienstvermittler der Welt wegen Gefährdung von Chinas Cybersicherheit zu überprüfen. Dann flog die Didi-App aus den chinesischen App-Stores.
Außerdem wurde gerade dem kompletten E-Learning Markt die Grundlage entzogen, da die Unternehmen nun nach einer kurzfristigen Bildungsreform keine Gewinne mehr erzielen dürfen. Der Tagesspiegel schreibt dazu:
Den Instituten wurde untersagt, Schüler am Wochenende zu unterrichten. Akademische Angebote für Kinder unter sechs Jahren müssen komplett eingestellt werden. Insgesamt ist aus einem Milliardengeschäft über Nacht ein Non-Profit-Segment geworden.
Das schürt ein Klima der Unsicherheit unter Investoren, wodurch nahezu der komplette chinesische Aktienmarkt darunter leidet. Vor allem sind neben den genannten Märkten die Tech-Aktien, die größten Unternehmen und die Finanzbranche betroffen.
Dabei entstehen unterschiedliche Risiken: Wie entwickeln sich die Unternehmen? Werden Unternehmen Segmente abspalten müssen? Werde ganze Unternehmen oder Sparten womöglich einfach über Nacht verstaatlicht?
Wie steht der Markt und die großen Aktien da?
China ist die größte Region im MSCI Emerging Markets und damit bei vielen Anlegern im Depot. Es gibt einige große Aktien, die dabei eine besondere Rolle spielen.
MSCI Emerging Markets & MSCI China
Der MSCI China sieht noch okay aus, gerade deshalb, da der Aktienmarkt als Ganzes sich seit der Corona-Pandemie stark erholt hat. Trotzdem ist kürzlich ein vergleichweise starker Verlust zu sehen.
Der MSCI Emerging Markets, in dem China mit 38% die größte Region ist, zeigt ein ähnliches Bild: Höher als vor einem Jahr, aber in den letzten Wochen größere Verluste.
Tencent
Tencent ist das wertvollste chinesische Börsenunternehmen. Aus der Tencent Aktienanalyse:
Tencent ist so etwas wie eine Kombination aus Facebook, Google, PayPal, Activision und Spotify. Es ist ein vollumfassendes Internetunternehmen, das größte Unternehmen Chinas und das sechstgrößte Unternehmen der Welt.
Es bietet mit WeChat eines der weltweit größten Messaging-Netzwerke (und bietet dabei weit mehr als das), steckt hinter einigen der aktuell beliebtesten Videospiele weltweit und ist an vielen namhaften Unternehmen beteiligt.
Tencent hat in den letzten Monaten nun etwa 40% an Wert verloren und gehört damit zu den am stärksten getroffenen Unternehmen.
Was ist Tencent konkret passiert?
Optisch sieht die Aktie, basierend auf den fundamentalen Zahlen, enorm günstig aus:
- KGVe: 27
- 27% jährl. Umsatzwachstum
- 35% Nettomarge
Alibaba
Alibaba ist der zweitgrößte Börsenkonzern Chinas und vor allem im E-Commerce und im Payment-Bereich unterwegs. Auch die Alibaba Aktie ist seit Monaten im Sinkflug:
Was ist Alibaba konkret passiert?
Optisch sieht auch die Alibaba Aktie, basierend auf den fundamentalen Zahlen, enorm günstig aus:
- KGVe: 20
- 42% jährl. Umsatzwachstum
- 21% Nettomarge
Was bedeutet das jetzt für Anleger?
Es mehren sich unterschiedliche Fragen, wie Anleger jetzt klug mit der Situation umgehen.
"Sollte man China und Schwellenländer prinzipiell meiden?"
Es gibt prinzipiell zwei zentrale Argumente, warum - in meinen Augen - Schwellenländer zu einem guten Depot gehören:
- Diversifikation: Eine weltweite Streuung umfasst eben alle Länder, die investierbar sind. Ohne Schwellenländer fehlen etwa 15% der weltweiten Marktkapitalisierung bzw. 30% der weltweiten Wirtschaftskraft und über 50% der weltweiten Bevölkerung.
- Rendite: Schwellenländer haben historisch eine etwas höhere Rendite als Industrienationen geliefert, bei (bzw. durch) etwas höheres Risiko.
Tatsächlich ist gerade das, was wir jetzt sehen, der Grund, warum langfristige Anleger aus Renditegründen in Schwellenländer investieren: Es ist das zusätzliche Risiko, das Anleger in Industrienationen nicht tragen.
In der Finanzwissenschaft ist vom "Political Risk Premium" die Rede, also einer Renditeprämie für politische Risiken.
Anders formuliert: Nur wenn politisch riskante Regionen (wie Schwellenländer) eine höhere Renditeerwartung liefern können sie für die höheren politischen Risiken entschädigen.
Viele sagen nun "Finger weg von chinesischen Aktien!". Zum einen kommen diese Warnrufe erst im Nachhinein, zum anderen ist das eben eine sehr kurzfristige Sicht und langfristig genau der Grund, warum überhaupt mehr Rendite dort zu erwarten ist.
"Sollte man wegen der günstigen Fundamentalzahlen nachkaufen?"
Die Fundamentalkennzahlen sehen optisch günstig aus. Die große Frage, die aktuell aber niemand beantworten kann, ist: Wie verlässlich sind diese Entwicklungen noch in Zukunft?
Wenn die Geschäfte weitestgehend unbeschadet oder nur mit leichten Rückgängen weiterlaufen, ist der Kaufzeitpunkt sicherlich günstig. Wenn die Geschäfte noch stärker eingeschränkt oder zerschlagen werden, ist der Kaufzeitpunkt eher teuer.
In meinen Augen ist es okay, jetzt zu investieren, wenn man (a) einen langfristigen Anlagehorizont mitbringt (und nicht auf kurzfristige politische Entscheidungen spekuliert) und (b) sich des damit verbundenen Risikos und der möglichen Verzerrung der Fundamentalkennzahlen bewusst ist.
"Wie sollte man generell mit solchen Risiken umgehen?"
Es gibt in meinen Augen gute Gründe in Schwellenländer und auch in China zu investieren. Die politischen Risiken, die wir jetzt sehen, sind tatsächlich ein Grund dafür.
Was wichtig ist:
- Du musst verstehen, warum du wo investierst und was die Gründe für eine mögliche Mehrrendite sind, die du erwartest.
- Du solltest dich auf die lange Sicht und nicht auf kurzfristige Ereignisse fokussieren.
- Willst du in Schwellenländern Risiken rausnehmen, investiere breit gestreut (wie ich es bspw. auch mache, wie ich im Depot ausgeführt habe). Die großen Aktien sind hier stärker gefallen als der Markt.
- Wenn du in einzelne Aktien investierst, solltest du immer auf das Chance-Risiko-Verhältnis schauen. Gerade das Risiko nach unten ist in solchen Märkten größer. Ich nutze dafür meine Aktienbewertung in unterschiedlichen Szenarien und vergebe Minuspunkte in der Scorecard im Bereich Risiko, wenn eine Aktie in einem politisch weniger verlässlichen Land sitzt.
Inspiration
📌 Zahl des Tages
153 Mrd. Dollar
... haben die fünf größten chinesischen Tech-Aktien zuletzt an Börsenwert verloren.
Praxiseinblick & Gedanken
🔎 Earnings Season: Apple, Microsoft, Amazon, Netflix, Tesla, Teladoc Health uvm.
Es gab wieder einige neue Quartalszahlen. Ein kurzer Überblick:
📊 Außerdem: Immobilienfusion abgesagt, Robinhood IPO, Cloudflare vs. Amazon, Square kauft für 29 Mrd.
Inspiration
💭 Börsenweisheit des Tages
"Politische Börsen haben kurze Beine."
✌️ Das war es mit dem heutigen Briefing. Danke, dass du dabei bist!