von Jannes Lorenzen

Gründer, Strategie-Lead & Investor

veröffentlicht: 24. Juni 2020

Diese Analyse ist ein kostenloser Auszug aus StrategyInvest Premium.

Das Internet hat viele Wertschöpfungsketten fundamental geändert. Exponentielles Wachstum und enorme Skalierung hat einige Tech-Giganten geschaffen, die mittlerweile auch die Aktienmärkte dominieren: Amazon, Google, Uber, AirBnB, Spotify und Netflix sind Beispiele dafür.

Es gibt unterschiedliche "Frameworks" - vereinfacht gesagt: Modelle - die geschaffen wurden, um ein besseres Verständnis zu liefern, wie sich die Wirtschaft gewandelt hat und warum diese Unternehmen so erfolgreich geworden sind.

Der bekannte Tech-Analyst Ben Thompson hat dafür die "Aggregation Theory" geprägt. Ich möchte dir zeigen, was hinter diesem Framework steckt und wie es dir dabei hilft, Geschäftsmodelle und Wertschöpfung in der heutigen Zeit besser zu verstehen. Gerade deshalb, weil im deutschsprachigen Raum kaum darüber gesprochen wird, macht es dieses Verständnis umso wertvoller.

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Die Theorie benennt drei ökonomische Annahmen, die sich durch das Internet fundamental verändert haben. Es ist eng angelehnt an das Konzept, das ich dir in einer der wichtigsten Grafik für Aktionäre gezeigt habe.

  1. Transaktionskosten = 0. Zahlungen und Käufe abzuwickeln ist quasi kostenlos.
  2. Distributionskosten = 0. Große Menge an Inhalten für alle verfügbar.
  3. Grenzkosten = 0. Exponentielle Skalierbarkeit.

Aber der Reihe nach.

Die Zeit vor dem Internet

Das größte Problem in der Vor-Internetzeit war die Distribution, also die Verteilung von Inhalten und Produkten. Wer einen Artikel geschrieben hat, musste einen Drucker kaufen, den Artikel drucken und diesen irgendwie an Leser bringen. In der Regel gab es außerdem in jeder Region nur eine begrenzte Anzahl an Zeitungen.

Es gibt typischerweise drei Arten von Unternehmen in jeder Wertschöpfungskette: (1) Anbieter / Produzenten, (2) Distributoren und (3) Konsumenten / Käufer.

In der Regel haben sich Unternehmen darauf konzentriert, die Bereiche (1) und (2), also die Produktion und die Distribution, zu besitzen und bspw. Zeitungen standardisiert an die Tausende und Millionen von Konsumenten zu liefern. Eine Individualisierung für jeden Einzelnen Leser wäre viel zu teuer gewesen.

Ein Verlag druckt lässt also von vielen Autoren schreiben, bündelt die Artikel, druckt diese und verteilt sie mit Zustellwagen.

Die Zeit mit dem Internet

Nun kommt das Internet. Vorher hat jeder die gleiche Zeitung wie der Nachbar gelesen, nun kann der Nachnbar etwas ganz anderes lesen - aus einem anderen Ort, einer anderen Sprache oder einem anderen Thema. Das Produkt wurde individualisiert. Das ist nur dadurch möglich, dass das Versenden eines Texts übers Internet völlig trivial ist: Die Grenzkosten sind quasi gleich Null.

Vorher besaßen die Unternehmen die Produktion und die Distribution und haben standardisierte Produkte ausgeliefert. Die Distribution war der Engpass.

Durch das Internet ist die Distribution kein Engpass mehr. Das neue "Problem" ist nun ein anderes: Die Konsumenten haben immer noch nur 24 Stunden am Tag. Welchen Medien widmen sie also ihre knapper werdende Aufmerksamkeit?

Die Antwort der Aggregation Theory - du kannst es dir denken: Den Aggregatoren.

Was ist ein Aggregator? 3 Kriterien

Ben Thompson nennt drei Kriterien, die Aggregatoren kennzeichnen.

1. Direkte Kundenbeziehung

Nutzer interagieren direkt mit dem Aggregator. Sie besuchen diesen direkt über die Webseite oder App. Der Aggregator hat den direkten Zugang zum Kunden.

2. Grenzkosten für neue Nutzer gleich Null

Aggregatoren müssen per Definition viele Nutzer, Millionen oder sogar Milliarden, vereinen. Um das zu schaffen, müssen die Kosten, um einen neuen Nutzer aufzunehmen, gleich Null sein. Eine Zeitung, die gedruckt werden muss, erfüllt das nicht, eine Plattform wie Facebook allerdings schon.

3. Nachfrage-getriebene mehrseitige Netzwerke mit abnehmenden Akquisitionskosten

Wow, was für ein Wortungetüm. Aber keine Sorge, es klingt komplizierter als es ist. Was steckt hier drin?

"Nachfrage-getrieben" - Nutzer gehen direkt zum Aggregator, bspw. zur Google Suchmaschine, wenn sie Fragen haben.

"mehrseitiges Netzwerk" - Es gibt Interaktionen zwischen zwei oder mehr Parteien, bspw. Webseite-Betreibern und Lesern, wo Google der Aggregator ist.

"abnehmende Akquisitionskosten" - durch mehr Nutzer und ein größeres Angebot wird der Aggregator für beide Seiten wertvoller (mehr dazu gleich noch), wodurch es einfacher - und günstiger - für den Aggregator wird, neue Anbieter und Nutzer zu akquirieren.

Also, zusammengefasst: Ein Aggregator hat (1) eine direkte Beziehung zum Kunden, (2) keine Kosten bei zusätzlichen Nutzern und (3) vereint mehrere Parteien bei abnehmenden Akquisitionskosten.

Beispiele für Aggregatoren in der Praxis

Gehen wir ein paar Beispiele durch, die die gezeigten Konzepte in der Praxis verdeutlichen.

Beispiel 1: Zeitungen vs. Google & Facebook

Vorher: Zeitungen erstellen Inhalte, bündeln diese und versehen diese mit Werbung. Sie versuchen möglichst viele Kunden zu erreichen und versenden die Zeitung dann an ihre Kunden.

Heute: Google ermöglicht es, mit nur einer Suche schnell und kostenlos auf eine nie vorher dagewesene Anzahl an Inhalte einzeln (nicht mehr gebündelt) zuzugreifen. Google ist der Aggregator, schaltet Werbung und monetarisiert die Inhalte erfolgreicher als die Ersteller selbst. Ähnlich macht es Facebook: Facebook bündelt unzählige Inhalte und zeigt diese den Nutzern basierend auf demographischen Daten und Nutzerverhalten.

Beispiel 2: Platten & CDs vs. iTunes & Spotify

Vorher: Wer Musik hören wollte, hat sich einzelne Platten und CDs gekauft und hatte bspw. 15 Lieder auf einem Datenträger.

Heute: Durch iTunes & Spotify können Hörer auf einzelne Lieder zugreifen, ohne das ganze Album kaufen zu müssen. Sie können sogar auf nahezu die gesamte Musikwelt zugreifen. Apple & Spotify sind hier die Aggregatoren und monetarisieren den Zugang zu den Liedern, bspw. durch einzelne Transaktionen (iTunes) oder monatliche Abos (Apple Music & Spotify).

Beispiel 3: Hotels vs. Airbnb

Vorher: Hotelzimmer werden über Kataloge oder telefonisch gebucht. Bewertungen oder eine komplette Übersicht gibt es nicht.

Heute: Airbnb macht es möglich, bis zum einzelnen Bett, Raum oder Wohnung zu buchen und bündelt eine Großzahl an Angeboten auf einer einzigen Plattform. Airbnb ist hier der Aggregator, der durch einen prozentualen Anteil an den Übernachtungspreisen monetarisiert. Die Kosten, wenn mehr Zimmer gebucht oder angeboten werden, steigen kaum.

Beispiel 4: Taxiunternehmen vs. Uber

Vorher: Um ein Taxi zu bekommen, musste man eine Telefonnummer kennen oder am Straßenrand auffällig genug winken.

Heute: Das Taxi wird übers Smartphone bestellt. Man hat Zugriff auf eine Vielzahl an Fahrern im jeweiligen Ort, inklusive Bewertungen und Preistransparenz. Uber ist der Aggregator, der Fahrer und Fahrgäste auf der Plattform bündelt und zusammenbringt und über eine prozentuale Gebühr monetarisiert. Die Kosten, wenn die Anzahl der Transaktionen oder die Anzahl der Fahrer sich verdoppelt, steigen kaum.

Weitere Beispiele für Aggregatoren

  • Lieferando (TakeAway) & Delivery Hero im Bereich der Essenslieferdienste
  • Flixbus bei Fernbusreisen (ohne selbst Busse zu besitzen)
  • Netflix für Film- und Serieninhalte
  • Ebay & Amazon als Marktplätze im Ecommerce (Zusammenbringen von Händlern & Käufern)

Wichtiger Treiber: Netzwerkeffekte

Ein wichtiger Bestandteile, der Aggregatoren so erfolgreich macht, sind Netzwerkeffekte. Vereinfacht gesagt gilt:

Je mehr Nutzer (Nachfrage) es gibt, desto attraktiver ist die Plattform für Anbieter (Angebot). Je mehr Anbieter es gibt, desto attraktiver ist die Plattform für Nutzer.

Beispiel: Je mehr Inhalte Google bündelt, desto wertvoller ist die Suchmaschine für Nutzer. Je mehr Nutzer Google als Suchmaschine nutzen, desto mehr Inhalte werden erstellt und für Google optimiert.

Anderes Beispiel: Je mehr Lieferdienste es auf Lieferando gibt, desto wertvoller ist die Plattform für Nutzer. Je mehr Nutzer es auf der Plattform gibt, desto mehr Lieferdienste wollen auf Lieferando anbieten.

Genau das gleiche gilt auch bei den anderen Aggregatoren wie Uber, Netflix und Airbnb.

Es wird ein positiver Kreislauf erzeugt. Dieser führt zu weiterem Wachstum und macht Plattformen bzw. Aggregatoren mit steigender Größe noch wertvoller.

Je größer, desto stärker: Skaleneffekte

Die Netzwerkeffekte sind ein Grund, warum größere Aggregatoren stärker werden, wenn sie wachsen. Die Skaleneffekte ("economies of scale") sind ein weiterer Grund.

Zum einen steigen die Kosten kaum mit steigender Nutzeranzahl. Ob Netflix oder Google 100.000 Nutzer mehr oder weniger bedienen ändert an der Kostenstruktur außer minimalen Serverkosten nichts.

Auf der anderen Seite sind die größten Aggregatoren in der Lage, ihre Konkurrenz zu überbieten: Wenn Netflix als größter Streaming-Anbieter Inhalte einkauft, kann es mehr als alle anderen bezahlen, da es den Inhalt der größten Anzahl an Menschen zugänglich machen kann. Die Kosten pro Nutzer sind beim größten Aggregator am geringsten.

Die Unterschiede innerhalb der Aggregatoren

Offensichtlich haben die Aggregatoren einige Gemeinsamkeiten im Geschäftsmodell, sind aber in mitunter sehr unterschiedlichen Bereichen unterwegs. Nur wenige der Unternehmen sind nach der Theorie "perfekte" Aggregatoren. Hier unterscheidet Ben Thompson noch in Unterkategorien - je höher die Stufe, desto besser sind die Geschäftsmodelle in der Aggregatoren-Logik:

Stufe 1: Angebots-Akquisitionskosten

Netflix hat direkten Kundenkontakt, quasi null Grenzkosten bei neuen Nutzern, eingebaute Netzwerkeffekte und Skaleneffekte.

Aber: Die Akquisitionskosten liegen im Angebot. Netflix muss Rechte an Filmen und Serien einkaufen (oder mittlerweile selbst produzieren), um diese dann anbieten zu können.

Dadurch entsteht so eine Kosten- und Umsatzstruktur, die ich bereits hier näher erläutert habe:

Bei Spotify sieht das ganze etwas anders aus: Da Spotify bei Musik immer einen gewissen Anteil an die Plattenfirmen und Musiker zahlen muss, sind die Grenzkosten nicht gleich Null, die Fixkosten dafür aber deutlich niedriger als bei Netflix.

Das Problem für Spotify: Der Musikmarkt wird von nur drei großen Musiklabels dominiert. Ein Aggregator funktioniert vor allem in den Märkten am besten, in denen das Angebot in viele kleinere Anbieter fragmentiert ist.

Stufe 2: Angebots-Transaktionskosten

Diese Art der Aggregatoren muss das eigene Angebot nicht kaufen, wie bspw. bei Netflix, sondern haben geringe Kosten bei neuem Angebot.

Uber und Airbnb fallen in diese Gruppe. Uber bspw. muss die neuen Fahrer prüfen. Airbnb muss neue Hosts und Wohnungen prüfen. Das Angebot ist also nicht komplett kostenfrei verfügbar. Das ist meistens bei Angeboten der Fall, die eine gewisse Sicherheit benötigen - fremde Autos und fremde Wohnungen sind genau solche Fälle.

Stufe 3: Null Angebotskosten

Besser sind Aggregatoren, die neues Angebot ohne zusätzliche Kosten bekommen. Dazu gehören soziale Netzwerke wie Twitter und Snapchat (Monetarisierung durch Werbeanzeigen) oder auch App Stores (Monetarisierung durch Transaktionsgebühren). In dieser Stufe können Nutzer und Angebot unbegrenzt wachsen.

Die Super-Aggregatoren

Diese Aggregatoren haben nicht nur perfekt skalierbares Angebot und Nachfrage, sondern auch perfekt skalierende Werbeumsätze. Facebook und Google sind hier die Musterbeispiele.

Die Werbetreibenden auf diesen Plattformen können ihre Werbung selbst einbuchen und steuern. Die Plattformen können dadurch nicht nur Angebot und Nachfrage, sondern auch Umsätze enorm gut skalieren. Andere Netzwerke wie Twitter und Snapchat sind noch in der Vorstufe und mehr auf aktives Verkaufen ihrer Werbelösungen angewiesen.

Fazit: Die 5 wichtigsten Erkenntnisse

Was solltest du abschließend aus der Aggregation Theory mitnehmen?

  1. Aggregatoren haben enorm starke Geschäftsmodelle, die erst durch das Internet ermöglicht wurden.
  2. Vor dem Internet war das größte Problem die Distribution, also das individualisierte Erreichen der Konsumenten. Dieses Problem ist durch das Internet gelöst. Nun ist für viele Unternehmen die größte Herausforderung der Kundenzugang, da Plattformen - "Aggregatoren" - diesen in vielen Bereichen besitzen.
  3. Direkter Kundenzugang, geringe Grenzkosten und Netzwerkeffekte sind heute enorm wertvoll.
  4. Aggregatoren unterscheiden sich noch von anderen Aggregatoren, vor allem bei ihrer Kostenstruktur und ihrer Skalierbarkeit. Es gibt also unterschiedlich "perfekte" Aggregatoren.
  5. Dadurch, dass größere Aggregatoren immer stärker werden, gibt es oft "Winner takes it all Effekte", bei denen der Gewinner enorm profitabel, wertvoll und schwer anzugreifen wird. Es entsteht ein Burggraben.

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Ich bin Jannes, Jahrgang 1993 und Gründer von StrategyInvest. Seit 2011 investiere ich an der Börse. Damals habe ich mein VWL-Studium mit Finanzschwerpunkt erfolgreich absolviert und bin nun seit mehreren Jahren in der Digital- und Techbranche aktiv, aktuell als Product & Strategy Lead. Ich kenne daher Investieren, Technologie und Unternehmertum aus wissenschaftlicher Sicht, aber auch aus der Praxis. Die Erkenntnisse daraus teile ich hier.

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Auszug aus dem Manifest:

Regel #4: Wir legen mittel- und langfristig an.

Die Finanzwissenschaft weiß längst: Je mehr getradet und je öfter ins Depot geschaut wird, desto schlechter die Rendite. Market Timing, also Einschätzen kurzfristiger Marktbewegungen, funktioniert nicht und richtet mehr Schaden als Nutzen an.Langfristig anlegen ist erfolgversprechender und entspannter. Und: Es ist der einzige Anlagehorizont, der logisch zu einer fundamentalen Bewertung, an die sich der Aktienkurs mit der Zeit im Optimalfall annähert, passt.

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